No. 9.
Erst heute, liebes Kind, kann ich Dich benachrichtigen, daß ich glücklich hier angekommen bin. Ich hatte nach meiner Witterungskunde darauf gerechnet, unberegnet wenigstens nach Murnau zu kommen, was auch gelang; und selbst bis hieher wär’ ich noch trocken, wenigstens von oben her, gekommen, wäre ich nicht den Schlehdorfer Bauren gefolgt, die mit mir gingen und meine Sachen trugen; so, da ich in Schwaiganger mich aufhielt, ereilte mich oben auf der Schwaig, über die der Fußweg führt, mich ein ziemliches Wetter, ich kann Dir indeß versichern, daß mir diese nasse Partie nichts geschadet hat. In Schlehdorf fand ich alles in guter Ordnung, die Katharina hatte sich die ganze Zeit abgehärmt und sogar einige Tage fast nichts gegessen, weil sie fürchtete, es sey was ausgekommen d.h. ich oder Du oder die Kinder sey’n krank geworden. Sehr ärgerlich war mir jedoch zu finden, daß Herr Waizinger den eisernen Ofen aus dem kleinen Refectorium abermals hatte wegnehmen lassen, er war zudem verreist, kam jedoch in der Nacht zurück – und allen möglichen Vorwürfen dadurch zuvor, daß er am frühen Morgen schon diesen Ofen, den er in sein neu eingerichtetes WohnZimmer, den ehmaligen Saal – (es sind jetzt 2 köstliche Zimmer) – gesetzt hatte, abbrechen und mir den Nachmittag wieder in mein Zimmer setzen ließ, um ihn nun nicht wieder zu nehmen. Madame ist vielleicht glücklicher Weise in Prien geblieben. So weit wäre nun alles gut, weniger zufrieden aber bin ich mit dem hinteren Zimmer, denn dieses – so wohl als die Küche ist gemacht; dort nämlich hat Herr W˖[aizinger] die beaux restes von dem großen Ofen im großen Refectorium zu einem neuen zwar kleineren aber doch immer noch sehr viel Raum einnehmenden Kachelofen zusammensetzen lassen; ferner haben sie die Fenster so zugehalten, daß mir ein unerträglicher Kalk- und Mauerduft darinn ist und man die Kinder wohl kaum darinn schlafen lassen könnte. Um es Tag und Nacht lüften zu können habe ich der Katharina gesagt, ihr Bett in die Küche zu machen, welches ein weit besseres Zimmer vorstellt, noch aber hat sie es (nach ihrer Art) nicht gethan und zugleich denke ich, es ist besser, wenn jemand dieß Zimmer ausschläft – vielleicht wird es grade dadurch wohnlicher. – Schon hat sich nun auch das Wetter zum Besseren gewendet, und heute nach einigem Kampf sich zum vollkommen Guten entschieden, meine Zimmer sind voll Sonne, und da die Witterung so lange Zeit gebraucht, sich festzusetzen, hoffe ich sie soll desto dauerhafter seyn. Eine wahre Annehmlichkeit ist jetzt für mich die in Andex ausgestandne Kälte; ich finde, daß es in Schlehdorf, auch unabhängig von der Witterung, wegen der niederen Lage viel wärmer ist und so hoffe ich noch lang’ des Einheizens recht wohl entbehren zu können. Scheint die Sonne, so arbeite ich meist bey offnen Fenstern. Sonst ist es das alte feuchte und schmutzige Nest, die Überschuhe, an die Du gedacht hast, kommen mir sehr zu gut. Gleich gestern früh fing ich wieder an zu arbeiten, der Nachmittag ging mit dem Ofensetzen und Besuchen hin, doch war ich den Abend wieder ungestört, heute habe ich das Regime des FrühAufstehens schon angefangen, so daß ich, als ich um 9 Uhr einen Gang nach dem Märzen Keller machte, schon ein gut Stück weggearbeitet hatte. Stengel’s sind denn noch hier, ausgenommen M[onsieu]r˖ de Stengel. Sie ist so freundlich und zuvorkommend als sie seyn kann; und sieht auch so gut aus als sie aussehen kann, denn das Roth auf der abgestorbnen, schmutzigen, lederfarbnen Haut sieht meyne ich nur widriger aus, und die blasse Farbe kleidet sie besser. Die Störung ist leidlich, bey schönem Wetter geht Catel gleich morgens 9 Uhr fort, zu zeichnen, und nimmt die älteren Kinder mit, Malchen bleibt unter einem kleinen Zelt, das am oberen Eck des Refectorium aufgeschlagen ist mit dem kleinen George, und sogar heute früh (zu gutem Glück schlafen sie auch viel länger) meynte ich weniger Lärmen über mir zu vernehmen; wo so viel ich verstehe, die große Caserne sich befindet, denn seit Herr von St˖[engel] fort ist, müssen sämmtliche Kinder (die 2 großen Knaben ausgenommen) Malchen und die Walburg nebst ihr in Einem Zimmer schlafen, weil sie nur in so großer Gesellschaft sich sicher glaubt. Ganz ohne Störung geht es freylich nicht ab, besonders sind die Jungen oft unartig und das Geschrey der kleinen Mädchen unausstehlich. – Die Leute im Dorf sind noch die alten, alle erkundigen sich nach Dir und dem Paul. Die Schneider-Breyin hatte sogar Fräulein Malchen gebeten sie doch gleich zu benachrichtigen, wenn Paul käme, es ist unglaublich, welch’ ein Unterschied zwischen diesen Leuten ist und schon denen aus Murnau und Andex. Nun muß ich Dir noch sagen, daß Frau von Kerstorf mir noch ehe ich ging, jedoch nachdem meine Bestellungen schon gemacht waren, vertraute, daß Du am vielleicht mit Herrn von Gärtner hinauskommen würdest. Das war mir nun freylich sehr leid für mich, denn wie gern’ hätte ich Dich noch gesehen! Da es aber fast mehr als ungewiß ja unwahrscheinlich war, da man ein guter Witterungskenner seyn mußte, um den schönen Morgen des Sonntags vorauszusehen, so wollte ich meine Bestellungen nicht zurücknehmen, und – es wird Dich zwar, im Falle Du dennoch dort gewesen seyn solltest, auch ein wenig (ich denke mirs) geschmerzt haben, den Vogel ausgeflogen zu finden, doch es konnte nicht fehlen, daß Du es billigtest und natürlich fandest. Du wirst Dich vielleicht gewundert haben, wenn Du am Sonntag oder durch Kerstorf, gehört hast, daß ich den Felix bis Murnau mitgenommen. Ich that’s, weil ich wußte, den Eltern damit etwas Angenehmes zu erzeigen, obgleich er mich nachher einigermaßen genirte, und im Heimweg gewiß tüchtig beregnet wurde, denn er fuhr dem Wetter entgegen, mir kam es nur in dem Rücken (NB. es war kein Donnerwetter, sondern nur Regen mit Sturm). Jetzt habe ich Dir wieder 3 Seiten voll fast bloß von mir geschrieben. Nun sehne ich mich recht, bald von Dir und den lieben Kindern zu hören. Schreibe mir ja recht ausführlich. Ich hoffe gewiß, es soll sich noch nach machen lassen, daß Du, wenigstens mit den 2 Knaben, hieher kommst. Auf einen langen schönen kann man nach allen Anzeigen hoffen. Vor jetzt, ich läugne es nicht, ist es für meine Arbeit besser, daß ich allein bin, vielleicht gelingt es mir aber, sie so zu fördern, daß für Dich und die Kinder auch eine Zeit bleibt. Vielleicht erlaubst Du mir, es Dir dann zu schreiben. Die beste Gelegenheit wäre freylich die Rückkehr von Stengels, allein Du weißt, wie schwer es ist, mit ihnen etwas der Art auszumachen. Sollten inzwischen Kerstorf’s Dich wieder einladen oder eine Gelegenheit dahin sich wieder ergeben, so nehm’ es ja an, und mache Dir bey dem nun eintretenden schönen Wetter soviel Vergnügen als möglich. Gestern kam ein Brief von Dir an die Katharina an, Du hast ihr, soviel ich davon einsehe, Unrecht gethan, sie hat sich statt einer durchnähten Decke, die ihr zu kalt war, eine Bettdecke mitgenommen, dagegen schläft sie auf dem bloßen Strohsack. Mein Bett war, wie alles Übrige, in bester Ordnung. Habe herzlichen Dank, daß Du mir diesen Aufenthalt, so viel es in Deinen Kräften stand und mit eigner Aufopferung so angenehm als möglich zu machen gesucht. In der That ich könnte nicht besser seyn. Gott wird es Dir lohnen; muthe Dir übrigens nur nicht zu viel zu, und brauchst Du die Kathrina, so disponire über sie jeden Augenblick. Sollten Stengel’s einen Wagen von München kommen lassen, so schicke das etwa Nöthige noch mit, z.B. Coffee, Zucker, der hier theurer ist wie dort, denn ich hoffe, so Gott will, nicht wegzugehen, bis ich mit meiner Arbeit in der Ebene bin. Sey ganz unbesorgt wegen meiner Gesundheit; alle Leute berufen mich hier wegen meines guten Aussehens, auch fühle ich mich selbst wieder ganz gesund, der Weg von Murnau hieher hat mich nicht im Geringsten ermüdet, ich getraute mir des Tags meine 6–8 Stunden zu machen. Könnte ich nur so ruhig über Dich seyn! doch glaube es
Nun leb’ recht wohl; Gott sey mit Dir und mit den Kindern, die ich herzlich grüße und küsse. – Die Frau Dote nicht zu vergessen!