Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Liebster Bruder!

Seit meinem lezten Brief habe ich wircklich die früher projektirte Reise in die Rheingegenden gemacht, und bin seit 8 Tagen wieder hieher zurückgekommen. Das herrliche Wetter hat die Reise, welche ich mit meinem Pferd und Chaischen gemacht habe, für mich äußerst angenehm gemacht. Wir sind bei Speier über den Rhein gegangen, und über Worms nach Mainz gereist, und von da über Franckfurth, Darmstadt Heidelberg und Mannheim hieher zurückgekehrt. Meine Gesundheit hat dadurch äußerst gewonnen, die Reizbarkeit meiner Haut hat sich fast gantz verlohren, und das Geneigtseyn zum Schwitzen und damit zum Rothlaufen, ebenso. In Heidelberg habe ich die GemähldeSammlung der Boisserés in Gemeinschaft mit Dannecker von hier, der gerade auch da war, so wie des Grosherzogs von Weimar und anderen intereßanten Personen zu meiner großen Erbauung gesehen. Das ist wircklich unendlich merckwürdig, was diese Leute zusammengebracht haben. Ich habe nun erst einen Begriff von der Macht und Pracht der Farben, seit ich diese in jeder Hinsicht so merckwürdigen Bilder gesehen haben. Die beiden Boisserés und ihr Vetter Bertram, welcher ein halber Mephistopheles ist, laßen Dich recht freundlich einladen, doch auch zu Ihnen zu kommen, und so wie Du hieher kommst, wollen wir einmal eine Parthie dahin machen. Von hier aus kann man mit der Post in Einem Tag bequem dahin kommen.

Mit der Stelle in Tübingen scheint es noch immer auf dem alten ### zu seyn. Gleich den Tag nach meiner Rückkehr wurde ich von Herrn von Neurath, welchen Du in wenigen Tagen in München sehen wirst, zu einem MittagEßen eingeladen. Ich suchte alle mögliche Gelegenheit, mit W[angenhei]m, welcher auch dabei war, nach dem Eßen allein sprechen zu können, es war aber schlechterdings unmöglich. Er war übrigens gantz freundlich, und handelte sein LieblingsThema, nämlich über den Magnetismus bei Tisch sehr eifrig ab, und sprach darüber sehr viel mit mir. Ich bin es noch immer überzeugt, daß er Dich vorzüglich gerne nach Tübingen bringen möchte, daß die Sache aber sich noch an allerlei Hindernißen stoßt, und besonders an dem, von welchem ich Dir in meinem lezten Briefe geschrieben habe. Doch könnte sich dieses leztere vielleicht bald heben, indem der Medic˖[inal]Rath Fiedler von hier sehr gefährlich kranck ist, und im Fall dieser stürbe, eine Stelle für E[schenmaye]r hier vakant würde. Diese Überzeugung, daß die Sache noch nicht ernstlich im Wercke begriffen, und der Umstand, daß hier von Neurath mir an gedachtem MittagEßen sagte, daß er demnächst nach München kommen werde, hat mich abgehalten, vor der Hand zu W[angenhei]m zu gehen, und mit diesem selbst zu reden. Neurath, noch immer der intimste Freund Wangenheims ist nun gestern, nachdem er einige Tage durch den inzwischen erfolgten des Herzog Louis hingehalten worden ist, von hier abgereist, wird aber, da er einen kleinen Umweg (an den Bodensee und Zürich macht) wohl erst in 8 Tagen in M[ünche]n eintreffen. Mit diesem, welcher Dich zu besuchen versprochen hat, solltest Du offen reden, und je nachdem Du es für gut hieltest, den W[angenhei]m durch ihn grüßen laßen, oder ihm selbst schreiben. Ich hatte mir vorgenommen, mit N[eura]th noch vor seiner Abreise selbst zu reden, ich traf ihn aber 2mal nicht zu Hause an, und die lezten Tage mußte er zum Leichenkondukt des Herz˖[og] Louis nach Kirchheim. Hast Du mit diesem erst gesprochen, und findest Du sodann für nöthig, daß ich bei W[angenhei]m selbst noch Schritte mache, so schreibe es mir nur gleich. Ich habe es für einen glücklichen Zufall genommen, daß N[eura]th jezt gerade nach M[ünche]n kommen muß, und glaubte, daß durch diesen viel Gutes gewirckt werden könnte. Ist dieser erst au fait gesezt, so zweifle ich gar nicht an seinem guten Willen, und an seinem guten Einfluß, und ich glaubte daher, daß Du offen mit ihm reden solltest. N[eura]th gilt auch sehr viel bei dem König und der Königin, ist oft im persönlichen Umgang mit denselben. Die lezten Anträge an die Stände, welche sie nicht hätten verwerfen sollen, wurden von Neurath und einigen andern inscio W[angenhei]m gemacht.

Über den Th˖[ierischen] Magnetismus dencke ich noch immer so viel nach, als es meine Zeit erlaubt. Es wird unendlich viel zu Gunsten deßelben gelogen, aber wenn auch nur der zehente Theil von dem wahr ist, was man jezt darüber erzählt, so ist er doch das allermerckwürdigste Phänomen der Natur. Eine actio in distans findet so gewiß statt, als eine passio in distans, von welcher leztern man eine Menge der frappantesten Beispiele hat.

Frantz Baader hat mir auch vor einiger Zeit ein klein Schriftchen durch einen reisenden Studenten über den Magnetismus geschickt, und gewünscht, daß ich ihm über daßelbe meine Gedancken schreiben solle. Ich habe aber demselben nicht viel Geschmack abgewinnen können. Soll ich wohl dem Baader antworten.

Die unsrigen sind alle wohl und gesund, und empfehlen sich mit mir Dir Deiner lieben Frau und den verehrungswürdigen Gothaischen Damen bestens, und ich verbleibe mit innigster Liebe
Dein
Tr˖[euer] Bruder

Karl.