Noch ein Wort über die wissenschaftlichen Arbeiten der philologisch-philosophischen Klasse.
Es ist außer Zweifel, daß diese Gleichgültigkeit viele andere und noch dazu sehr nahe liegende Gründe hat; aber Ein Hauptgrund scheint mir doch besondere Hervorhebung zu verdienen.
Der Mensch ist einmal von Natur so beschaffen, daß das Schauspiel einer, wahrhaft oder auch nur scheinbar, zwecklosen Thätigkeit ihnen ganz zuwider ist, und z.B. der wirkliche Anblick der Danaiden, die ewig in das Faß gießen, ohne daß es je sich füllt, ihm in der That peinlich seyn würde. Ueberall dagegen, wo er einen Zweck erblickt, wird er angezogen, wo er ein Ganzes sich aufbauen oder entstehen sieht, festgehalten, wie Menschen gerne auf dem Platze stehen bleiben, wo eben ein Haus im Bauen ist, oder neben dem Handwerker, unter dessen Händen ein Gefäß oder kunstreiches Werkzeug sich vollendet. Wissenschaftliches Forschen, das nach einem bestimmten Ziel geht und ein Abgeschlossenes, in seiner Art Ganzes im Aug’ hat, ist in allen Fächern möglich, wie (um absichtlich ein Beispiel aus einer andern als unsrer Klasse zu erwähnen) unser unvergeßlicher Gehlen dadurch seinen deutschen Geist beurkundete, daß er, nicht mit einzelnen abgerissenen Versuchen sich genügend, stets eine Folge, man könnte sagen ein System von Versuchen beabsichtete, wodurch eine ganze Gegend seiner Wissenschaft, eine ganze Masse von Gegenständen zumal aufgehellt wurde. Die Arbeiten aber der meisten, ja, einzelne ausgezeichnete Zeiträume ausgenommen, aller Akademien erscheinen mehr oder weniger als ein Zerrissenes, Unzusammenhangendes, Unganzes und darum Unbefriedigendes. Wer die große Aufgabe der Wissenschaften kennt, wird auch solche Geschäftigkeit nicht verachten und zu schätzen wissen, aber das ist auch alles: lebhafte Theilnahme, sonderliche Freude daran wird niemand verlangen.
Wenn es aber in andern Fächern nicht möglich ist, stets und in jeder Untersuchung auf ein Ganzes auszugehen, so scheinen gerade die unserer Klasse vorgezeichneten Gegenstände ein solches Arbeiten ins Ganze entweder geradezu zu fordern oder doch vorzüglich zu begünstigen – denn am allerwenigsten in der Philosophie scheint das Vereinzelte oder Abgerissene an seiner Stelle, hier scheint sogar die Idee des Ganzen stets nothwendig den Theilen vorauszugehen. Aber auch im Umkreis der Philologie stoßen wir fast nur auf Gegenstände, die sich von selbst in sich abschließen. Die Sprache an sich ist ein vollendetes Ganze und bis in jeden Theil organisch gebildet. Denkt man aber Philologie als Erklärung, Beurtheilung und Auslegung alterthümlicher Denkmäler, es sey der redenden oder bildenden Kunst, so hat sie hier den Vortheil eines schon an sich abgeschlossenen Gegenstandes. Aber auch als Alterthumswissenschaft, es sey, daß sie das öffentliche Leben, oder Staats-Verfassungen, Gesetze, Sitten, oder religiöse Formen der alten und besonders der classisch gebildeten Völker untersuche, schließt sich ihr alles in einzelne Kreise ab, in denen sie sich der Vollständigkeit – nicht des Wissens, aber doch des Gebrauchs der vorhandenen Mittel vollkommen versichern kann.
Auf diese eigenthümliche Natur der Gegenstände unserer Klasse gestützt, wage ich denn, für diese einen Vorschlag zu thun, durch dessen Annahme, wie ich mir schmeichle, die wissenschaftliche Thätigkeit im Innern derselben bedeutend erhöht werden könnte.
Ich meine nämlich, unbeschadet der übrigen völligen Freiheit, mitzutheilen, was er sonst gut und zweckmäßig achtet, sollte ein jeder für seine regelmäßigen akademischen Mittheilungen sich eine gewisse Aufgabe machen, also einen bestimmten und abgeschlossenen Gegenstand sich zur Bearbeitung auswählen. Ich glaube zunächst, daß dieß das einzige Mittel seyn würde, aus der Unbestimmtheit unseres Treibens herauszukommen und zu einer festeren geregelten Thätigkeit zu gelangen. Sich für eine solche bestimmte Aufgabe zu erklären, kann im Allgemeinen keinem schwer werden. Denn es ist anzunehmen, daß er sich jederzeit mit irgend einem Hauptwerk beschäftiget, wär’ es aber, daß er von seinen Hauptforschungen nichts mittheilen könnte oder wollte, so könnte es doch, zufolge der innigen Verbindung und natürlichen Verwandtschaft aller Theile des Wissens unter sich, nicht wohl fehlen, daß diese Hauptforschung ihn zugleich auf Nebenuntersuchungen geleitet hätte, und sollte er endlich auch, bloß um des akademischen Zweckes willen, eine Arbeit unternehmen, zu der ihn außerdem weder Neigung noch Bedürfniß geführt hätte, so müßte er eben dieses als den wahren Vortheil der akademischen Verbindung ansehen, von deren Nutzen er außerdem schwerlich genügende Rechenschaft sich zu geben vermöchte. Denn wenn diese Verbindungen, die man Akademien nennt, nicht zuvörderst den Zweck haben, Arbeiten zu veranlassen, die ohne sie nicht wären unternommen worden, so gestehe ich aufrichtig überhaupt keinen Zweck derselben einsehen zu können. Denn was man gewöhnlich anführt, daß Beförderung der Wissenschaften an sich löblich, weiser Regenten würdig, den Völkern rühmlich, dem Staat ersprießlich sey, ist recht schön, aber es ließe sich auch wohl auf andere Art, ohne den Zwang eines äußeren Vereins und regelmäßiger Zusammenkünfte, ja meiner Meinung nach ohne diesen noch besser erreichen.
Nun denke ich aber ferner, daß ein jeder Arbeiten, von denen er sich doch nicht ganz freisprechen kann, um so fröhlicher unternimmt, wenn sie ein bestimmtes Ziel haben, wenn er hoffen kann, ein Ganzes aus ihnen erwachsen zu sehen, das einst ihn und andere erfreuen kann.
Noch mehr bin ich überzeugt, daß Arbeiten, die auf ein Ganzes und Abgeschlossenes gehen, viel eher eine allgemeine Theilnahme erregen können, als Mittheilungen unbestimmter und zufälliger Art und über abgerissene, unter sich nicht zusammenhängende Gegenstände. Denn des Unvollendeten und Vereinzelten, mit dem man nirgends hin weißt, ist überall genug in der Welt, und niemand sonderlich geneigt, sich mit einer noch größeren Masse desselben zu beschweren. Aber jeder ist gern dabei, wo es ein Ganzes gilt. Einzelne, abgerissene Materialien, von denen er nicht weiß, wo sie zuletzt liegen bleiben, oder wo sie eine Stelle im Ganzen finden, können ihn nur wenig ansprechen, aber jeder hilft gern, wo er etwas in seiner Art Vollendetes und Beschlossenes entstehen sieht. Erst bei solcher Theilnahme aber würden unsere Arbeiten wahrhaft gemeinschaftlich werden, was bis jetzt höchstens als eine figürliche Redensart gelten kann, ja es würde sich in längerer Zeit vielleicht jenes συμϕιλοσοϕεῖν und συμϕιλολογεῖν erzeugen, das unsere Klasse auszeichnen sollte.
Daß bei solchen Bearbeitungen bestimmter Gegenstände auch die Früchte unserer akademischen Thätigkeit weit ostensibler ausfallen, sich bestimmter nachweisen lassen müßten, als bei völlig freiem und ungebundenem Herumschweifen, will ich nicht einmal anführen, wiewohl es nach Umständen auch nicht zu verachten ist, ein anmaßendes oder übelwollendes Dic cur hic durch eine solche in die Augen fallende Antwort beschämen zu können.
Ich überlasse es nun ganz der Beurtheilung und dem eignen Gefühl meiner verehrtesten Herrn Collegen, inwiefern sie diesen Vorschlag annehmlich finden oder nicht, dem ich gern den abgenützten alten Spruch nachschicken möchte
Si quid novisti rectius illis,
Candidus imperti, si non, his utere mecum.