Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Liebster Bruder!

um 10 Uhr sind wir von der traurigen Reise nach M[aulbron]n wieder zurückgekehrt, nachdem wir Vormittags dem Leichenbegräßniße unsres seeligen Vaters beigewohnt hatten. Er wurde gestern um 9 Uhr Vormittags an die Stelle begraben, von der ich Dir neulich schrieb. Prof. Landerer hielt an dem Grabe, Hauff in der Kirche eine Trauerrede. Bei der gegenwärtigen Abwesenheit der Studenten fanden sich die musikalischen Schullehrer der Nachbarschaft ein, und sangen ein Lied, und zwar »Auferstehn ja auferstehn pp« vor dem Grabe. Die allgemeine Theilnahme und Trauer über den Tod des guten Vaters war sichtbar. Die Geistlichkeit aus der ganzen Nachbarschaft folgte mit zum Grabe. Die Profeßoren insbesondere sind höchst betrübt, und selbst Hauff, der nicht ohne Hoffnung ist, des Vaters Nachfolger zu werden, brach während seiner Rede mehrmalen in Thränen aus. Die Mutter ist freilich sehr betrübt, doch scheint sie ihre gute Konstitution vor schädlichen Folgen, die der Jammer und die Strapatzen für ihre Gesundheit hätten haben können, geschüzt zu haben. Sie wird in Zukunft ihren Aufenthalt hier nehmen. Anfangs wird sie vielleicht bei mir wohnen, bis ihr entweder ein anständiges Quartier gefunden ist, oder bis Gross seine Wohnung verändert hat, um sie ganz bei sich aufzunehmen. Sie schien anfangs mehr Neigung zu haben, bei mir zu wohnen, und ich hätte es auch sehnlichst gewünscht, wenn nicht bei Erwägung aller Umstände es der Mutter selbst, dem Bruder August und der Beate so wie auch mir selbst eingeleuchtet hätte, daß die Mutter sich beßer bei der Schwester befinden werde, als bei mir. Ich bin nämlich durch die Verbindung mit meiner Frau in sehr weitläufige und zum Theil mit dem Geist und Ton der bisher in unserer Familie herrschte, gar nicht zusammenstimmende Familienverhältniße gekommen, an die es sich wohl leichter in früheren Jahren, aber nicht in dem Alter, in welchem die Mutter ist, angewöhnen läßt. Die gute Mutter würde sich nicht recht in dem fast unvermüdlichen steten Zusammen## ihr ganz fremden ungleichartigen gefallen, während sie auf der andern Seite bei der Schwester mehr ungestört und mit ihrer bisherigen Lebensweise harmonischer leben kann. Meine Frau ist von Grund des Hertzens gut, aber sie ist noch jung, und seit zu kurtzer Zeit an unsere Familie geknüpft, als daß das Zusammenleben mit ihr der Mutter nicht fremd vorkommen sollte. Die Schwester hat aufs feierlichste versprochen, die Mutter mit aller ihr schuldigen Liebe und Hochachtung zu behandeln, und ich werde gewiß allem aufbieten, um der Mutter alle die unendliche Liebe, die sie mir von jeher erwiesen hat, einigermaßen zu vergelten. Das Vermögen, das ihr bleibt, wird wohl kaum 5000 Gulden betragen und aus dem Fiscus bekommt sie ungefähr 120 Gulden. Vielleicht gelingt es noch, ihr eine Pension zu verschaffen, in welchem Fall sie schon ordentlich geborgen wäre. Auf jeden Fall aber wird es ihr nicht fehlen, und schon der Seegen, der vom Vater auf ihr ruht, wird sie schützen.

Der Vater blieb sich im Tode ganz gleich, außer daß er magerer im Gesicht aussah. Er war freundlich auf seinem Todtenbette, und schien damit anzudeuten, daß ihm nun wohl seye. Ungeachtet er fast volle 3mal 24 Stunden todt gelegen hatte, und auch einige Symptome der Verwesung vorhanden waren, war kein Geruch in dem Zimmer wo er lag, zu bemercken. Er wurde von der betäubenden Schwäche überrascht, ehe er förmlich von der Mutter Abschied nehmen konnte. Er sprach aber mit der Mutter gleich im Anfang seiner Krankheit von dem möglichen Fall, daß er sterben würde, tröstete sie, und rieth ihr hieher zu einem von uns zu ziehen.

Ich muß schnell abbrechen. Leb wohl lieber Bruder, und bleib gesund und wohl.
Dein

K.

So eben höre ich daß K. Müller von Tübingen des Vaters Nachfolger ist.