Sr. Hochwohlgebohren
Herrn Direktor von Schelling
in
gantz frei.
Liebster Bruder!
Ich hätte Dir schon längst wieder geschrieben, wenn ich nicht seit einiger Zeit wieder durch eine neue Seuche, welche hier herrschte, außerordentlich starck beschäftigt worden wäre. Seit 6–8 Wochen herrscht nämlich hier ein Schleimfieber, das bei Vielen in ein gefährliches Nervenfieber übergeht, und viele Opfer, unter Andern auch die Frau des StiftsPrediger Köstlin dahingerafft hat. Mit der hoffentlich bald eintretenden kühleren Witterung wird sich dieses geben, und schon jezt erkrancken nimmer so viele, und auch viel leichter, als dieß früher der Fall war. Ich bin seit durch einen Fall, den ich machte, und der mich beinahe ein Auge gekostet hätte, auch ins Haus gesprochen, hoffe aber oder meinen Geschäften wieder nachkommen zu können. Von Deinen beiden Knaben hörte ich vor einiger Zeit, daß sie sich in Nürtingen recht gut anlaßen, auch haben sie meiner Frau recht artige Briefchen geschrieben, für einige Trauben, welche sie ihnen zugeschickt hatte. Ich habe es bisher unterlaßen, sie zu besuchen, und auch meine Frau, welche es sehr darnach gelüstete, bis jezt nicht hingelaßen, weil ich selbst glaube, daß es beßer ist, sie vorher sich gantz an ihre neue Lage gewöhnen zu laßen, aber auf glaubte ich doch, dürfte es ihnen nichts schaden, wenn sie auf einige Tage hieherkämen. Ich will sie mit meinem Gefärth abhohlen und wieder hinbringen laßen. Der Schwager von Rector Planck sagte mir in diesen Tagen, daß sämmtliche Kostgänger in den Feiertagen gewöhnlich nach Hause zu ihren Eltern oder Verwandten reisen. Wenn es Dir also nicht entgegen wäre, so wollte ich sie auch hieherhohlen laßen.
Sonst weiß ich Dir nichts zu schreiben, als daß bei uns Alles wohl ist. Klärchen lernt fortwährend recht artig, und ist auch sonst in ihrem gantzen Thun und Laßen sehr brav. Wir sind Dir und Deiner lieben Frau recht danckbar, daß ihr uns wenigstens diesen Winter noch die Freude ihres Besitzes gegönnt habt. Unser Karl gedeiht fortwährend recht gut, und fährt ohne Anstand in seiner Entwicklung fort. Noch ehe er ein Jahr alt war, fieng er an, allein zu gehen. Für die freundlichen Wünsche zu seinem Geburtstag dancken wir Dir aus vollem Hertzen.
Nun leb recht wohl, empfehle uns Deiner lieben Frau aufs Beste, und laß uns keine Fehlbitte im Betreff des Hieherkommens der beiden Knaben auf die Feiertage machen!
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]
Karl.
St˖[uttgart] den .