Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Sr. Hochwohlgebohren

Herrn Director von Schelling

in

Erlangen

g[an]z frei.

Liebster Bruder!

Ich habe Dir schon lange Zeit nicht geschrieben, weil ich in ewigem Umtrieb vom frühen Morgen bis späten Abend seit mehreren Monaten gelebt habe, und wegen einer Masern- und ScharlachfieberEpidemie, so wie wegen eines epidemischen Gallen- und Schleimfiebers, das seit einiger Zeit hier herrscht, gantz außerordentlich beschäftigt war. Zudem kam, daß ich mit meiner Frau und den Kindern in der auf 12 Tage nach Göppingen verreist war, und bei meiner Zurückkunft Berge von Akten antraf, welche ich bis jezt noch nicht gantz habe zusammenarbeiten können. Du wirst inzwischen durch eine Mme Kalb von Nürnberg einen Brief von mir nebst dem Buch von D. Schnurrer in Vaihingen erhalten haben. Von Tag zu Tag lebte ich inzwischen der Hoffnung, einen Brief von Dir zu erhalten, und darinn die Bestätigung, Dich mit Deiner lieben Frau und Kindern dieses Spätjahr bei uns zu sehen. Diese Hoffnung wurde noch dadurch bestärckt, daß ich von einigen Seiten hörte, Du habest Dich nun förmlich entschloßen, Deine beide Knaben nach Nürtingen in die Kost zu geben, in welchem Fall Du ohne Zweifel sie doch selbst einliefern würdest, und uns also das Vergnügen bereiten würde, Dich hier zu sehen. Klärchen ist inzwischen immer munter und wohl gewesen. Wir waren für die Kinder nicht ohne Besorgniße, als zuerst das Scharlachfieber und später die Masern, erstere bösartig bei unseren Hausleuten einkehrten. Jezt ist aber das lezte Kind derselben wieder rekonvalescirt, und wir sind verschont geblieben, wie ich hoffe, wenn schon in unserer Nachbarschaft noch ziemlich viele Kinder kranck liegen, welche jedoch alle auch demnächst genesen seyn werden. Klärchen lernt seit 2 Monaten zwar nicht mit großer Lust und bis jezt auch nicht mit sonderlichem Erfolg, ich bin aber überzeugt, daß wenn sie erst über die erste langweilige Periode des Lernens hinüber ist, sie bei ihrem aufgeweckten Kopf schnelle Fortschritte machen wird. Das Stricken wollte Anfangs auch nicht recht gehen und behagen, jezt treibt sie es mit wahrer Freude und vieler Geschicklichkeit. Unser Karl hat jezt 5 Zähne, und gedeiht immerfort, doch ist seine Entwickelung seit einiger Zeit verhältnißmäßig nicht so rasch vorangegangen, weil ihn das Zahnen ziemlich angreift. Übrigens macht er uns täglich die größte Freude. – Mit dem Herbst sieht es ziemlich kläglich aus, und wenn nicht noch gutes Wetter kommt, so wird über die Hälfte der Trauben unreif, die andere kaum reif werden. So viel ich höre, meldet sich Pfaff in Erlangen ### um die erledigte Professorsstelle am hiesigen Gymnasium, zweifle aber, ob er reussiren wird, wenn nicht besondere Wege aufgefunden werden. Nun leb recht wohl, und laß uns bald die freudige Bothschaft zukommen, daß wir Dich und die lieben Deinigen noch dieses Spätjahr sehen werden!

Dein
tr˖[euer] Bruder

Karl.