Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Verehrtester Herr Director!

Schon so oft habe ich den innigsten Wunsch gehabt, einmal wieder in Ihrer Nähe zu sein, um mich mit Ihnen über die wichtigsten Angelegenheiten des Wissens und des Lebens zu besprechen. In einer Zeit, wo so viele widerstrebende Elemente und entgegengesetzte Richtungen in den höchsten geistigen Interessen das Gemüth lebhaft ergreifen, fühle ich wenigstens sehr häufig das größte Bedürfniß zur Verständigung mit Menschen, die in klarer Ruhe über jenen Bewegungen stehen, oder sich wenigstens unbefangen und unbestochen darin erhalten. Um einen solchen Wunsch zu erfüllen, reiste ich vor nach Erlangen, in der sicheren Erwartung, Sie daselbst zu treffen. Leider waren Sie in Carlsbad und meine Zeit zu beschränkt, um Ihnen dahin zu folgen.

Ich wage es nicht über die Dinge, über welche mir Ihre Ansicht von so hohem Werth wäre, zu schreiben, da es nichts Einzelnes betrifft, sondern die allgemeinsten Grundlagen alles Wissens und Glaubens. Sie würden mich verbinden, wenn Sie mir schrieben, ob Sie diesen in Erlangen bleiben, oder ob Sie irgendwo hinreisen, wo Ihnen mein Besuch nicht unangenehm wäre. Freilich kann ich in meinem Berufe durchaus nichts mit Bestimmtheit über meine Zeit festsetzen. Dürfen Ihre hiesigen Freunde und Verehrer sich denn gar nicht schmeicheln, Sie einmal in den Rheingegenden zu sehen? Mit mehreren Ihrer früheren Schüler, wie Thomas und Neeff, habe ich oftmals gesprochen, wie höchst erfreulich es uns allen wäre, Sie einmal in unsrer Mitte zu sehen. Der Brief, den Sie jüngst an Molitor schrieben, hat in uns die Hoffnung neu belebt, bald ein Werk von Ihnen zu sehen, das für uns, wie für so Viele, von dem höchsten Interesse sein wird.

Längst schon hatte ich vor, an Sie zu schreiben, aber eine Bitte, die ich nicht verschieben kann, beschleunigt meine Mittheilung. Die hiesige reformirte Gemeinde, deren Mitglied ich bin, ist im Begriff, einen Pfarrer zu wählen. Mehrere wünschen Herrn Krafft in Erlangen zu dieser Stelle, und ein Urtheil von Ihnen über diesen Mann und sein Wirken würde mir und andern Gleichdenkenden vom größten Werthe sein. In einer Zeit, wo so viele Menschen auf dem Scheidewege stehen und nicht recht wissen, nach welcher Richtung sie sich hinwenden sollen, wäre ein, seinem Beruf ganz gewachsener, Mann hier von großer Wichtigkeit.

Indem ich mich Ihrem Wohlwollen aufs Innigste empfehle, erfreue ich mich an dem Gedanken, Sie hoffentlich dieses Jahr zu sehen.
Ihr ergebenster

Carl Passavant.