Euer Hochwohlgeboren
bin ich so frei, in der Anlage die beiden ersten Bände meiner Uebersetzungen von Swedenborg, welche Ihnen noch fehlen, mit der gehorsamsten Bitte zu übersenden, dieselbe als Zeichen meiner Hochachtung anzunehmen.
In der Vorrede habe ich von S. LXXIV an die Grundzüge des Swedenborgschen Systems, soweit sie mir klar waren, a priori darzustellen gesucht, und dann nachher das in der Geschichte Gegebene daran angeknüpft. Die zuerst gegebenen vier Werke enthalten was die Engländer the four leading doctrines of the New Church nennen, nämlich die Lehre der Kirche so weit sie sich aus dem buchstäblichen Sinne (gemäß dem Grundsatz, Bd. 2 S. 61) schon entwickeln läßt. In der Lehre vom Herrn ist die Grundidee, daß Jehovah, ohne selbst verändert oder auf Einen Punkt der Wirksamkeit beschränkt zu werden, gleichsam in das Unterste der Natur herabstieg (der Letzte wurde, so wie er bisher nur der Erste war), und menschliche Natur annahm, diese nach und nach, durch Leiden und Versuchungen, göttlich machte und so mit sich vereinigte, um das Gleichgewicht zwischen Himmel und Hölle herzustellen, und zu erhalten, und somit dem Menschen die Freiheit und die Möglichkeit, sich zu bessern, wieder zu geben, welche er außerdem verloren hätte. Seine Versuchungen waren Kämpfe mit den Mächten der Finsterniß (zusammengenommen Teufel und Satan genannt) und sein Leiden am Kreuz der letzte Kampf und der letzte Sieg. Durch die Verherrlichung seiner Menschheit, welche eben dadurch vollendet wurde, so daß er nun durch alle Himmel hinauf in den Mittelpunkt des Alls, in die Sonne der Geisterwelt aufstieg, kann nun Jehovah auch in die gesunkene von Ihm ganz entfernte menschliche Natur herabwirken, weil die Strahlen oder die von seiner Sonne ausgehenden Kräfte nun durch das Gottmenschliche gemildert und unserer Aufnahmsfähigkeit angepaßt sind. So konnte er also durch dieses Organ (den Arm Jehova’s) nicht nur mit einemmahl alle erlösen, sondern auch das hergestellte Gleichgewicht in Ewigkeit erhalten, und die sich an Ihm festhaltenden zu sich ziehen. Diese Menschwerdung hat Bedeutung für alle Weltkörper, auf welchen Menschen sind, weil Gott nur als Mensch dem Gedanken zugänglich ist, und durch die durch die Geburt aus der Maria wirklich angenommene Menschheit auch auf das von seiner Ordnung abgewichene erhalten und zurückführen kann; Er wollte aber, wie Swedenb˖[org] in dem Werk de telluribus gezeigt hat, auf unserm Planeten Mensch werden, weil dieser im großen Ganzen den äußern Sinn vorstellt. Von Ihm, dem Kommenden, handelt daher das ganze Wort, und es ist nicht ein Iota, nicht ein Häkchen, das sich, im innersten Sinne, nicht auf Ihn zurückbezöge. Dadurch unterscheidet sich die H˖[eilige] Schrift von andern Schriften. Der Buchstabe enthält die allgemeinen Wahrheiten, der geistige Sinn aber, »particularia« und »singularia«. Der Buchstabe enthält und muß enthalten Wahrheiten des Scheins, er kann daher allen möglichen Ketzereien zur Stütze dienen, der geistige Sinn hingegen enthält lauter vera genuina, und ist nur Einer. In ihm wohnt das eigentlich Göttliche der Schrift, der Christ, das Leben, die mit der zweiten Ankunft des Herrn (nicht in Person, sondern im Worte (Joh. 1,1.14 Apocal. 19) verheißene Kraft und Herrlichkeit (Matth. 24) dieser geistige Sinn ist daher auch im Stande, den Leichnam der Kirche wieder zu beleben. Keine andre Apologetik will jetzt mehr folgen, das Christenthum müßte sich, wenn Gott selbst nicht geholfen hätte, in Heidenthum auflösen. Ein talentvoller Engländer, Namens Noble hat einen nicht unglücklichen Versuch gemacht, nach Swedenborgs Principien, jedoch unabhängig von seiner Autorität, und ohne seinen Namen zu nennen, durch den geistigen Sinn die höchste Inspiration der h˖[eiligen] Schrift zu beweisen, in dem Werke The plenary inspiration of the scriptures asserted, and the principles of their composition inverstigated, with a view to the refutation of all objections to their divinity. p. London: published by W. Simpkin and R. Marshall stationers’ Hall Court, Ludgate Street. 1825. 8°. Wirklich mußten selbst seine Gegner bekennen, daß diese Methode die beste sei, das Christenthum zu vertheidigen. So sagt unter andern das Literary Chronicle, of Jan˖[uary] 1825. »Mr. Noble has essayed to vindicate Christianity, if not on more rational, at least on less objectionable grounds: and we think he has eminently succeeded... His style is simple, but forcible and argumentative; and if Christianity has had more able, it has, perhaps rarely had a more rational advocate, or one more likely to convince the sceptic«. Auch das Imperial Magaz˖[ine] von Nov˖[ember] 1825 sagt: »This is a work of much labour, and the writer has evinced powerful talents, great activity, and unwearied perseverance in prosecuting his researches.« Ich kann hier auch aus Erfahrung reden. wurde ich mit Swedenborg bekannt, 7 Jahre lang las ich ihn zwar mit Vergnügen, konnte mich aber nicht von allen Lehren überzeugen, und wußte nicht, ob ich seine Werke als die eines erleuchteten Philosophen und Theologen oder als Offenbarung ansehen solle, als ich aber die ersten Kapitel seiner Arcana coelestia, welche jenen Sinn enthüllen, gelesen hatte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen; nun hatte ich ein Wunder gesehen, und zwar nicht ein Wunder für die Sinne, sondern ein Wunder für die Vernunft, nicht ein Wunder, das in keinem erweislichen Zusammenhange mit der Lehre stünde, sondern ein Wunder, das in der Lehre selbst liegt. Als Wunder erschienen mir jetzt zugleich die h˖[eilige] Schrift und Swedenborgs Werke; ich erkannte, daß er sich mit Recht auf diejenigen seiner Schriften, welche den geistigen Sinn aufschließen, als auf sein Creditiv berief. Ich war fromm erzogen, hatte aber nie große Lust, in der h˖[eiligen] Schrift zu lesen, sie eckelte mich vielmehr beinahe an, und an den frommen Versammlungen, d.h. den Versammlungen der Pietisten, schreckte mich Vieles zurück, jetzt erst nachdem ich Swedenb˖[org] kennen gelernt, bekam ich Lust an der H˖[eiligen] Schrift, – sie war mir kein versiegeltes Buch mehr, – und hohes Interesse für das Christenthum, so daß ich mich entschloß, eine ziemlich einträgliche Stelle fahren zu lassen, und eine noch einträglichere Stelle nicht anzunehmen, sondern Theologie zu studiren. Ich kann sagen, daß ich durch Swedenborg eine Vernunftanschauung von den ewigen Wahrheiten und somit unmittelbare Gewißheit erhalten habe. Kein Zweifel kann jetzt mehr aufkommen. Aber an jenem geistigen Sinne finde ich nur in so weit Vergnügen, als ich mich über das Sinnliche erhebe und nach den Geboten Gottes aus religiösen Motiven, um Christi willen, handle; denn in Ihm habe ich jetzt alles, der Vater ist sein Inneres, der Sohn sein Äußeres, der h[eilige] Geist die von beiden ausgehende Kraft, alles in Einer Person, die Person Christi; durch das Äußere aber muß ich mich zum Innern wenden; nur von diesem habe ich ein Denkbild. Wie das Menschliche in Christo zum Äußern Gottes verklärt, persönlich mit dem ewigen Göttlichen vereinigt werden könnte, darüber giebt der geistige Sinn Aufschluß, so daß wir nach und nach die tiefsten Geheimniße fassen lernen, und eine Vernunftanschauung von denselben erhalten. – Ich wäre so frei gewesen, Ihnen auch Einiges Allgemeine über die andern Lehren als Einleitung zu sagen, allein die Poststunde ist da; ich müßte wieder acht Tage warten, und doch wollte ich Ihnen die von mir verlangte Notiz über die Tempelherrn nicht länger vorenthalten. Ich glaube, was Sie meinen, kommt in der Allg˖[emeinen] Kirchenzeitung vom 27. Sept˖[ember] 1829. N. 153. S. 1247 wo es unter andrem heißt: »Die Tempelherrn besitzen ein kostbares und sehr altes Manuscript des Ev˖[angeli] S[an]ct[is]˖ Joh˖[annis] und ein gnostisches Werk in griechischer Sprache, welches viele Mysterien in allegorischer Weise erklärt.« Dr. Münter soll etwas über jenen Codex geschrieben haben, den Titel seines Werkes konnte ich aber bis jetzt nicht herausfinden. Die Notizen, welche Sie und Thiersch über unsere Universität gewünscht haben, hat mein Vetter, Prof. Tafel, schon längst an Thiersch abgesandt.
Ihrem Rathe, Swedenborgs System zu geben, werde ich folgen, um so mehr da ich es von der im 1ten Hefte meines Magazins angefangenen Apologetik, wo der Begriff und die Arten der Offenbarung nur erst problematisch angegeben sind, nicht wohl trennen kann; es wird jedoch nicht so schnell damit gehen. Wollten Sie mir sonst mit Ihrem gütigen Rathe beistehen, so würde ich es mit innigem Dank annehmen.
In den Kreis Ihrer lieben Familie setze ich mich oft zurück. Ich bitte, mich Ihrem Andenken zu empfehlen. Genehmigen Sie die Gesinnungen der innigen Hochachtung, mit welcher ich bin
Euer Hochwohlgeboren
gehorsamster Diener,
Imman. Tafel
Tübingen den .