Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Kaum, beste Pauline, habe ich von meinem kleinen Landhaus Besitz genommen und es mir etwas wohnlich gemacht so ergreife ich die Feder, um Ihnen zu antworten. Der Himmel hat mich indeß recht begünstigt, letzten Montag den gieng ich hierher, am nämlichen Tag entwölkte sich die Luft, und zugleich kam die Wärme, die fruchtbare Gewitter-Regen, heute wieder den klarsten Himmel brachte. Kurz es scheint endlich mit dem Ernst zu werden.

Wie froh bin ich dieser Stille! Im Gedräng der Menschen, im täglichen Umtrieb der Geschäfte verlieren wir uns selbst. Die Einsamkeit erlaubt uns, auch wieder an uns selbst, an unser Liebstes und Bestes zu denken; da finden wir im eigentlichen Verstande unser Inneres wieder und freun uns, daß es noch da ist. – Warum ist das Herz des Menschen auch darinn wie die Erde, daß immer eine Seite in’s Dunkel zurücktreten muß, damit die andre beleuchtet sey? – Diese Tage also habe ich mir selbst gelebt, meinen Erinnerungen und den wenigen, wenn auch nicht geringen Hoffnungen. Manche Zähre süßer Wehmuth ist dem heiligen Andenken geflossen; hier hätte sie so gern mit mir geweilt, es war der einzige Punkt, der ihr recht gefiel.

Meine nächste Hoffnung geht darauf, die liebe Mutter, Sie, beste Pauline und wenn es sein kann auch die Schwestern zu sehen. Welche Wonne nach so langer Entbehrung sich einmal wieder unter treuen Freunden zu wissen, mit denen, ich fühl’ es, mein Herz und meine Seele Eins ist! – Vor mir im Süden liegt, in der schönsten Perspektive, das herrliche Gebirg, von dessen noch mit Schnee bedeckten Gipfeln die Sonne golden widerstrahlt; ich glaube in den Vertiefungen den Frühlingsdampf jener romantischen Seen zu erblicken, nach denen mich immer eine besondre Sehnsucht hinzieht. Aber eine mächtigere lenkt mir den Sinn nach Norden zu; und eh’ ich unter jenen fernen Gipfeln wieder wandle, muß endlich der lange Wunsch des Herzens erfüllt seyn, so theure Freunde zu sehen. Ja, beste Pauline, dießmal ist es nicht nur fester Vorsatz, es ist auch alles so eingerichtet und berechnet, daß er ausgeführt werden kann. Sobald ich den nächsten Brief von Ihnen habe, glaube ich auch das Nähere schreiben zu können. Sie wiederholen das ungemein holde und freundliche Anerbieten, dahin zu kommen, wohin ich am leichtesten zu gelangen hoffen kann. Küssen Sie der lieben Mutter zum voraus die Hände für dieses freundschaftsvolle Entgegenkommen. Bestimmen kann ich freylich heute noch nichts; es muß noch wegen einiger Umstände Rücksprache genommen werden, eh’ ich mich entscheide, wie weit mein Ausflug gehen kann und soll. Fordern es die Umstände, daß ich die Bambergische Gränze nicht verlasse, dann will ich auch zutraunsvoll es ihnen melden und hoffen, da wir doch einmal beschlossen unterwegs zusammenzutreffen, daß Ihnen der Weg von Hildburghausen etwa noch bis Cronach nicht zu weit seyn werde. Ich schlüge gern Bamberg vor; aber außerdem, daß es denn doch weiter ist, würden wir da auch nicht so allein und ungestört sein, wie dort. Ich hoffe doch, es findet sich in Cronach ein leidliches Unterkommen; doch dieß alles nur auf den Fall, daß es schlechterdings nicht anders geht; ich werde alles anwenden um wenigstens bis Hildburghausen zu kommen. Schreiben Sie mir auch der lieben Mutter und Ihre Gedanken darüber; vielleicht wissen Sie einen andern und bessern Vorschlag.

Es hat mir recht wohlgethan, daß Sie meinen leichten Einfall, Sie sollten alle nach München ziehn, der offenbaren Eigennützigkeit ohnerachtet so freundlich aufgenommen, wenn auch, wie ich mir leicht vorstellen konnte, abgewiesen haben. Es ist jetzt überall ein schlimmes Ding um eigne Häuser. Doch halten Sie, liebe Pauline, nur einstweilen am Schneckenhaus fest, verlassen Sie Gotha nicht, eh’ ausgemacht ist, wann und wo wir zusammenkommen. Die Jena’schen Freunde haben sich Ihrer so manchen Frühling erfreut, einen Theil von diesem opfern Sie dem Münchner Freund auf!

Herzlichen Dank für Ihre Nachricht von der Wirkung meines Buchs in Jena. Ich werde freylich die Hände voll zu thun bekommen; Jacobi bietet alle seine Mannen auf, aber ich weiß, was sie ohngefähr vermögen, und lasse mich’s nicht anfechten. Wenn sie alle gesprochen haben, kann ich ja immer auch wieder kommen. Jacobi’s Lage ist in der That nicht die beste, er sucht eben um Urlaub an, in ein Bad zu gehen, seine Gesundheit herzustellen; ich fürchte, er wird ihn erhalten und man wird veranstalten, daß er nicht wieder kommt. Mir wäre dieß sehr Leid; ich wünsche daß er an seinem Platz bleibe bis zu Ende. – Meine Abhängigkeit von dem Präsidenten war eigentlich nie drückend, besonders seit ich durch die andre Stelle bei der Akad˖[emie] der Künste fast ganz independent geworden. Allein die Ernennung des Kön˖[iglichen] Commissärs ist für mich um so angenehmer, weil er ein durchaus rechtschaffner, kräftig handelnder, charaktervoller Mann ist und dazu seit den ersten Zeiten, daß ich in Baiern bin, bis jetzt mein beständiger, wahrer Freund gewesen ist.

Doch genug von diesen Dingen! Ich wende alle meine Gedanken gern vom Gegenwärtigen und dringe in die Zukunft und in die Ferne. Gern will ich in alle Verhältnisse zurückgehn, wenn ich nur erst Sie gesehn. Ein solcher Augenblick wiegt Jahre auf.

Leben Sie gesund, herzlich gegrüßt sammt der lieben Mutter und den Schwestern
von Ihrem ergebensten Freunde

S.