Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Sr. Hochwohlgeboren

Dem Herrn von Schelling Direktor und

General-Sekretair der Academie der Künste pp.

zu

München

frey

Werthester Freund!

Wenn ich Ihnen so lange nicht schrieb, so geschah es lediglich aus der Ursache, weil ich Ihnen wenig oder fast gar nichts interessantes von hier aus mittheilen konnte, und wußte, daß Sie izt zu sehr mit Ihren Arbeiten beschäftigt seyen, als daß Sie sich gern durch ein gehaltloses Schreiben darin unterbrechen ließen. Demohngeachtet war ich zeither unausgesetzt im Geiste bey Ihnen, freute mich über Ihr angenehmes und wohlgeordnetes häusliches Leben, und stärkte mich selbst durch das Beyspiel Ihres unermüdeten Fleißes und Ihrer Liebe zur Ihren Arbeiten. Dieß alles, dachte ich mir immer, müße auch einen sehr wohlthätigen Einfluß auf Ihre Gesundheit haben, und wenn dieß wirklich so ist, so haben Sie ja nichts mehr zu wünschen übrig. Mein aufrichtigster und herzlichster Wunsch ist, daß ich mich in meiner Einbildung nicht getäuscht habe.

Mir war zeither nicht so wohl; seit meiner retour von dem verwünschten Würzb˖[urg] wechselte ich immer mit kleinen Unpäßlichkeiten ab, und heute bin ich noch nicht frey davon. Dieß hat mich aber nicht gehindert in meiner Arbeit; ich habe darin fast ausschließlich meine Unterhaltung und meinen Trost gefunden; mit den Hauptmomenten der Ethik bin ich fast fertig, und ich wünschte nur, in Ihren freyen Stunden meine Arbeit Ihnen vorlesen zu können, um Ihre Meinung und Belehrung darüber zu erhalten. Ich gestehe aufrichtig, daß einzelne Gegenstände mir viele Schwierigkeiten in der Darstellung gemacht haben. Doch hoffe ich, daß sie ihres Beyfalls nicht ganz entbehren werde. – Mit meinen Verhältnissen als Lehrer bin ich izt weniger zufrieden als zeither; und befürchte, daß ich es immer weniger seyn kann; ich habe in diesem Jahr Schüler bekommen in einer Klasse, wo unter 20 kaum 3 fähig sind, auch nur ihre Aufmerksamkeit minutenlang auf einen Gegenstand zu richten; Die leichteste Sache zu begreifen, macht ihnen große Schwierigkeit, und dazu bedarf es einer öfteren Wiederholung: eine Hauptursache liegt meines Erachtens an ihren zeitherigen Lehrern, welche sehr wenig Mühe darauf verwenden, diesen Kindern ein Interesse an ihren Arbeiten, und Fleiß beyzubringen; wie es in meinem Fache ist, so ist es in allen anderen gleichfalls – Ich scheue gar keine Mühe; wenn ich aber ein solches Feld vor mir sehe, da sehe ich wohl ein, daß ich das Unmögliche nicht leisten kann. – Wenn es von daher einmal möglich wäre, von einer solchen Stelle auf eine gute Weise wegzukommen, so werde ich die Gelegenheit dazu nicht vorbey gehen lassen, und wenn Sie, bester Freund, etwas dazu beytragen können, so zähle ich ohnedem wieder auf Ihre freundschaftliche Unterstützung. Da ich gerne Lehrer bliebe, so wäre mir eine Stelle auf einer Universität freilich die liebste; und wenn ich Ihnen einigemal erklärte, daß ich keine Lust hätte, nach Landshut zu kommen, so nehme ich mein Wort zurück, indem ich dieß immer für viel besser halte, als in der Kathegorie eines Gymnasiums-Lehrers fortzuexistiren. Für Erlangen gebe ich aus den Gründen, die Sie mir selbst persönlich mittheilten, die Hoffnung auf, ob ich mir gleich schmeichle, dort nicht weniger nützlich seyn zu können als Hegel – – Wenn Sie einmal glauben, daß es Zeit sey, darum anzusuchen, so machen Sie mich gütigst darauf aufmerksam – Man spricht zwar auch izt von Veränderungen, welche in unserem Schulwesen wieder vorgehen sollen; allein ich halte es für ein leeres Gerücht. – –

Die Verehelichung des General-Kommiß˖[ärs] von Stengel mit der Kommerzienräthin Mark hat nicht nur vieles Aufsehen beym Publikum gemacht, sondern vorzüglich eine sehr unangenehme Sensation unter den Kindern, und zwischen diesen und dem Vater hervorgebracht. Es war ein sehr großer Jammer unter den Kindern, und noch izt wollen sie es nicht recht fassen, wie so ein solcher Schritt auf Seite ihres Vaters möglich war; wie er, ein so vielseitig gebildeter Mann, mit einer so von aller ächten Bildung ganz entblößtem Weibe ein so enges Band schließen konnte. Am meisten war die zart fühlende Fränz zu bedauern, die in lebhaften Andenken an ihre selige Mutter sich gar nicht zufrieden geben wollte; ich befürchte nicht nur für ihre Gesundheit, sondern sogar für ihr Leben, und gab mir alle Mühe, sie zu beruhigen; sie hat sich zwar noch nicht ganz wieder gefunden; doch ist sie ruhiger. Dem guten alten Herrn muß es nun sehr auffallen, daß alle die höheren Stände sich so ganz von ihm zurückziehen, und selbst ehemalige Hausfreunde nun ausbleiben. –

Wenn Sie Koehler sehen, sagen Sie ihm gefälligst, seine Bibliothek wäre schon vor einigen Wochen von Würzburg unter der Adresse an Spix nach München abgegangen; diesen beyden Freunden entbiethe ich zugleich meinen freundlichen Gruß.

Vor kurzem kamen einige Nachrichten von dem Wieder-Ausbruche der Streitigkeiten zwischen Aretin und seinen Gegnern; sie werden hoffentlich erdichtet seyn; und die alte Geschichte wird nicht wieder zum Aergerniß aller Unpartheischen von Vorne anfangen.

Leben Sie wohl, bester Freund, und bleiben Sie unausgesetzt gut
Ihrem ergebensten und aufrichtigsten
Freunde

GM. Klein

P.S.

Dem Wismaier habe ich in einem Schreiben mich empfohlen, weil ich denke, daß dieser, wenn er etwas vermag, sich izt mehr meiner annehmen werde, als N˖[iethammer] der wahrscheinlich viele andere nun eben in seine Protektion genommen hat. –