Schelling

Schelling Nachlass-Edition


An

Herrn Prof. Neumann in Paris,

Rue du Four Faubourg Saint-Germain N° 17.

Euer Wohlgebohrn

Eingabe an die Bibliothekdirection habe ich dieser sogleich zugeschikt, dagegen aber von derselben noch nichts darauf Bezügliches erhalten, worüber Herr Dir˖[ector] Lichtenthaler Ihnen wahrscheinlich selbst das Nähere schreiben wird. Die philosophische Classe, und ich insbesondere, haben es sehr bedauert, daß ganz unvorhergesehene und plözlich auf den Etat der Akademie geworfene Ausgaben das Ministerium wahrscheinlich genöthiget haben, Ihr früheres so kräftig unterstüztes Ansuchen abschläglich zu bescheiden. Wenn Sie indeß dasselbe durch unmittelbare Eingabe beym Ministerium wiederholten, würde dasselbe vielleicht aus allen Quellen Mittel und Rath schaffen können. Doch ist dieß nur eine individuelle Aeußerung, von welcher Sie keinen Gebrauch machen können.

Uns müßte es natürlich sehr angenehm seyn, einen des Armenischen, und besonders der chinesischen Sprache kundigen Mann bey der Akademie und der Universität zu besizen. Ich habe jezt auch angefangen, so weit es zu meinen Zweken nöthig ist, die vortreffliche Grammatik des Herrn Abel Remusat zu studiren, und möchte mir wohl gern über manche bey der Kürze desselben mir noch dunkel gebliebene Punkte Aufschlüsse erbitten. Könnten Sie insbesondere gelegenheitlich mir einige Notizen darüber geben, welche allgemeine Ansichten man über die monosyllabische Natur der chinesischen Sprache und deren Verhältniß zu den polysyllabischen Sprachen überhaupt, und den semitischen insbesondere, in Frankreich jezt hat, so würden Sie mich sehr dadurch verbinden. Abel Remusat’s Abhandlung in den Fundgruben des Orients, und die kurze Anmerkung zu dem Schreiben des Herrn von Humboldt sind Alles, was ich darüber bis jezt kenne. Besonders wünschte ich auch Saint-Martin’s Ansichten hierin kennen zu lernen, dessen Beurtheilung des Creuzerschen Werkes nach der Bearbeitung von Guignaud im Journal asiatique mir so treffend und wahr geschienen hat, daß ich die größte Meinung von seiner Beurtheilungskraft gefaßt habe. Vielleicht können Sie mir irgend eine Aeußerung oder selbst eine Schrift von Saint-Martin in diesem Betreff nachweisen. Ich kann freilich in meinem Alter und bey meinen Verhältnissen nicht wohl mir vornehmen, außer den in der Jugend gelernten Sprachen noch neue zu erlernen; allein das natürliche System und die genealogische Succession der Sprachen, welche unabhängig von aller materiellen Affinität zwischen Ihnen stattfindet, ist gleichwohl ein Gegenstand, der mich sehr nahe berührt. Unstreitig sind Sie auch mit Herrn Guignaud bekannt, oder können leicht mit ihm bekannt werden. Ich bitte Sie, ihn freundlichst von mir zu grüßen und ihm zugleich zu sagen, daß ich ihm das bewußte Werk bogenweise zukommen lassen werde. Auch bitte ich Sie, ihn deshalb um seine Adresse zu ersuchen und diese mir mitzutheilen.

Leben Sie recht wohl, und fahren Sie fort geistige Schäze zu sammeln, die einst unserer in so vielen Fächern leider unverkennbaren Armuth zu statten kommen.