Herrn
Ober-MedicinalRath
Dr. Schelling
in
frey bishin.
Erlangen .
Liebster Bruder!
Der gestrige war für uns ein Abend der Freude und des Danks gegen Gott; er brachte uns außer Deinem lieben Brief auch die Nachricht des Herrn Rectors in Nürtingen, daß die Krankheit bey beyden Knaben glücklich überstanden sey. Bis dahin hatten wir nur durch Dich Kunde von dem wirklichen Erkranken des Friz und der gefährlichen Wendung, welche das Übel bey ihm genommen. Von Paul erfuhren wir nun zu gleicher Zeit, daß er die Krankheit gehabt und in unverhofft leichtem Verlauf schnell und glücklich überstanden habe. Auch Du wirst inzwischen gleiche Nachricht von Nürtingen erhalten haben. Ich kann von dieser Sache nicht weggehen, ohne Dir nochmals unsern gerührtesten Dank auszusprechen für die große, nicht genug zu erkennende Güte, mit der Du dem Friz zu Hülfe gekommen, und sogar eine Nacht darangesetzt hast. Wir hoffen zu Gott, daß diese Anstrengung Deiner eignen Gesundheit nicht geschadet, und bitten ihn, Dich für diesen großen Dienst der Liebe reichlich an Deinen eignen Kindern jetzt und in der Folge zu segnen. Möge insbesondre dieser Monat noch recht glücklich und ungestört verlaufen, und am Ende Dich und Deine liebe Frau, die wir zärtlichst grüßen, mit einem recht lieben, gesunden Kind, wo möglich einem Söhnchen erfreuen!
Es ist mir sehr angenehm, daß Du Dich mit meinem Entschluß, dem Ruf nach München zu folgen, zufrieden bezeugst. Ich habe mich von Position zu Position vertheidiget, aber dem entschiednen Wunsche des Königs, der mir einige Mal selbst eigenhändig darüber geschrieben und sich auf die edelste Weise in jeder Hinsicht gegen mich erzeigt hatte, mußte ich mich ergeben. Ich hoffe auch zu Gott, dessen Willen ich in der Sache erkennen muß, da es eigentlich ganz gegen meinen anfänglichen Willen und gegen meinen bis zu Ende fortwährenden Wunsch so gekommen, daß er mich dabey nicht verlassen werde. Die Verhältnisse sind freylich in manchen Hinsichten sehr heikelich und bedenklich, aber ebendarum auch groß, bedeutend und wichtig genug, daß ich für Pflicht halten mußte, mich ihnen, da ich sie nicht gesucht hatte, nicht zu entziehen, und aus eben jenem Grunde auch mit Gottes Hülfe auf eine große und bedeutende Wirkung rechnen darf. Es ist gewiß der Mühe werth, unter solchen Verhältnissen öffentlich, frey und laut sprechen zu dürfen, und vor einer so zahlreichen und empfänglichen Jugend, der sich ein zum Theil nicht minder empfängliches, ansehnliches Publicum anschließt, als Docent wieder aufzutreten. Auch ist, so viel ich erfahren kann, unten den Wohlmeynenden die Freude, daß ich den Ruf angenommen habe, so allgemein, daß ich mit einiger Bemühung von meiner Seite, unter göttlichem Beystand nicht zweifeln darf, erwünschte Anerkennung zu finden. Überdieß fühle ich auch schon den Professor-Geist wieder mit Macht über mich kommen, der sich hier gar nicht recht einstellen wollte. Den Unterschied macht unstreitig das Amt und der Beruf. Ich konnte zwar hier dociren, aber es war keine Pflicht; unwillkührlich kam ich mir dabey vor, wie einer der sich produciren will und etwa ein Concert gibt. Auch machte es ebendieses mir schwerer, zum Gewöhnlichen und zu den Anfangsgründen hinabzusteigen, wozu man sich doch entschließen muß, um mit Nutzen und verständlich zu lehren.
Es hat sich auch alles Andre so von selbst und ungesucht gemacht, daß ich ebenfalls Abend schon Nachricht wegen einer mir ganz gemäßen, gesunden Wohnung ganz in der Nähe unsrer bisherigen hiesigen Nachbarn (Schuberts) erhielt.
Wenn Du die von Dir erwähnten Briefe einmal gelegentlich beylegen willst, wird es mir angenehm seyn.
Empfiel uns den verehrtesten Anverwandten insgesammt angelegentlichst und grüße Clärchen zärtlichst von uns; auch Beate.
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]
Fr.