Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

MedicinalRath Dr. Schelling

in

Stuttgardt

frey bishin

Liebster Bruder!

Ich glaube Dich benachrichtigen zu müssen, wenn Du es nicht überhaupt satt hast, noch von den Angelegenheiten meiner Jungen zu hören, was ich Dir gewiß nicht verübeln würde, daß Planck inzwischen, ohne weitere Rücksprache mit mir, nachdem ich ihm allgemeine Vollmacht gegeben, wegen Pauls mit Prof. Koestlin in Urach sich in Benehmen gesetzt hat, wahrscheinlich besonders aus dem Grunde, weil dort jetzt die jüngste Promotion ist. Ich könnte also dabey von Deinen Bemerkungen über Koestlin sowohl als den andern Professor keinen Gebrauch machen, wenn ich anders überhaupt einen davon machen konnte, denn ich gestehe Dir aufrichtig, so hypochonder und sauertöpfisch der eine und so windbeutelig der andre seyn mag, ist mir ein Wirtembergisches Seminarium, das doch unter genauer Aufsicht steht und an feste Vorschriften gebunden ist, noch immer lieber als ein Gymnasium bey uns, besonders da es noch immer weit mehr den Anschein hat, daß ich nicht hier bleibe, als daß ich bleibe; ehe ich aber einen Sohn in ein Münchner Gymn˖[asium] gehen ließe, würde ich fast jede andre Anstalt vorzieh’n. Ich hatte zwar, veranlaßt durch Deinen Vorschlag, in der Zwischenzeit sogar daran gedacht, etwa auf dem Ulmer Gymnasium, wo Moser mir als ein sehr vorzüglicher Mann bekannt ist, eine Mittelstufe auszumitteln, um Paul dann erst über’s Jahr nach Schönthal zu schicken; aber nach allem, was ich von Schönthal weiß und seitdem noch genauer erfahren habe, besonders den dortigen Ephorus, der ein in der äußersten Beschränktheit oder deutsch zu sagen Schweinerey aufgewachsner Mann seyn soll, der für Reinlichkeit in Kost, Kleidung, Essen und Trinken, überhaupt für äußere Ordnung gar keinen Sinn hat, bin ich recht froh, daß Planck mir zuvorgekommen, denn es liegt mir bey Paul sehr viel daran, daß er äußerlich nicht zu sehr verwildert und wenigstens einigen Anstand behält, der in Schönthal, wie ich mich zu überzeugen Gelegenheit hatte, ganz verloren geht. Planck hat doch wohl die Überzeugung, daß Paul dort mit fortkommen kann, und gibt sich bereits alle Mühe, das Fehlende bey ihm zu ersetzen und nachzuholen. Koestlin hat nicht nur selbst keine Schwierigkeit gemacht und auch bey dem Ephorus Kranz alle Bereitwilligkeit gefunden, sondern sogleich auch an seinen Schwiegervater geschrieben, der ihm antwortete, daß die Aufnahme des Paul keinen Anstand finden werde, und daß eine Eingabe von Seiten Planck’s an das Uracher Ephorat und ein Beybericht des letztren an den O˖[ber]Studienrath vollkommen genügen würde. Planck wird nun auch die Eingabe wegen des Landexamens für Friz besorgen und so hoffe ich denn, dieser Sorgen mit Gottes Hülfe entledigt zu werden. Ich sorge nicht, daß das Petitum wegen Pauls dem andern im Wege stehe, etwa daß man dächte, ich wolle Paul auch noch in eine Promotion bringen. Ich habe Dir schon geschrieben, daß mir dieß nie eingefallen ist und auch nie einfallen wird. Solltest Du aber vielleicht bey Süßkind oder sonst diese Meynung voraussetzen oder wahrnehmen können, so bitte ich Dich, derselben auf’s Bestimmteste zu widersprechen.

Damit ich jedoch nicht aller Sorgen frey und ledig werde erhalte ich die Nachricht, daß Fritz wahrscheinlich die rothen Flecken bekommen wird. In diesem Fall ist vorauszusehen, daß auch Paul davon ergriffen wird. Gott sey dank: die Epidemie soll sehr gutartig seyn, und die Krankheit durchaus ohne Gefahr verlaufen. Indeß ist es immer ein unangenehmer Umstand, daß beyde grade jetzt wo sie recht fleißig zu seyn alle Ursache hätten, in ihrem Lernen gestört und auch nach überstandner Krankheit wenigstens ihre Augen noch zu schonen haben werden. Doch Gott wird auch hier helfen, und sehr beruhigend ist für uns, daß wir treuer Pflege und sorgfältiger Wartung von Seiten Planck’s völlig versichert seyn dürfen.

Lebe recht wohl, möge der schöne wie bisher glücklich besonders für Deine liebe Frau verlaufen, empfiel uns dieser und allen verehrten Verwandten aufs Angelegenste. Herzliche Grüße an Clärchen und an Beate.
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.