Herrn
MedicinalRath Dr. Schelling
Erlangen .
Liebster Bruder!
Wie ich Dir vorausgeschrieben, schicke ich Dir anmit die beyden Jungen zu; bitte, sie über Nacht zu beherbergen, und am folgenden Tag bey guter Zeit, so nämlich daß sie noch bey Tag in Nürtingen eintreffen, mit einem Lohnkutscher, dem sie angewiesen sind, sich zu bestellen, weiter zu spediren. Noch habe ich ihnen aufgetragen, den Tag nach ihrer Ankunft bey Dir nur durch 2 Zeilen Nachricht, diese aber noch an demselben Tag auf die Post zu geben, damit wir nicht so lange ungewiß bleiben.
Du scheinst meine frühere Anfrage, ob Dein Stillschweigen über das Geistige und Moralische der Kinder zufällig gewesen oder nicht, etwas unrecht ausgelegt zu haben. Wie kannst Du glauben, daß eine Unzufriedenheit mit ihnen, sie möchte sich gegen mich oder gegen sie selbst äußern, mir in andrem Sinn unangenehm seyn könnte, als inwiefern sie diese verdient und sich zugezogen hätten? Im Gegentheil, da die Umstände mir nicht erlauben, sie öfter als jährlich Einmal zu sehn, da Deine Güte Ihnen erlaubt, Dich im Jahr einige Male zu besuchen, so bist Du ja recht eigentlich berufen, Vaterstelle an den armen Kindern zu vertreten, sie zu ermahnen, Unarten ihnen zu verweisen und sie womöglich durch Deine Ermahnungen wieder auf den rechten Weg zu bringen. Beklagen würde ich vielmehr, wenn Du dieses, was jedoch gewiß nicht geschieht, unterließest oder aus allzu zärtlicher Schonung gegen mich darüber schwiegest. Ich gestehe Dir gern, daß ich mit ihrer sittlichen Bildung nichts weniger als vollkommen zufrieden bin; in Paul ist noch immer kein rechter, anhaltender und ausdaurender Ernst, Friz überläßt sich der Rohheit, zu der ihn seine Natur und die wahrscheinlich vorzugsweise gewählten Muster unter seinen Schulgenossen, verleiten nur allzusehr – doch warum soll ich Dir wiederholen, was Du hinlängliche Gelegenheit gehabt selbst wahrzunehmen? Ich bitte Dich daher recht inständig und angelegentlich, sowohl jetzt, indem sie bey Dir einsprechen, als in der Folge, so oft Du ihnen erlaubst, Dich zu besuchen, ja der Strenge und der ernsthaftesten Ermahnung, besonders auch in Bezug auf beyder künftigen Beruf, nicht ermangeln zu lassen und wahrhaft an Vaters Statt mit ihnen zu handeln. Wenn ich für die gütige Aufnahme, die sie in Deinem Hause so oft finden, schon großen Dank Dir zeitlebens schulde, so wird dieser Dank doch noch immer nicht in Vergleichung zu setzen seyn, mit dem, den ich Dir schuldig bin, wenn Du mit väterlichem Ernst und Strenge ihren Fehlern entgegenwirkest und jede falsche Richtung, die sie geistig, aber besonders im sittlichen Sinn zu nehmen anfangen, auf der Stelle bey ihnen bekämpfest. Ich weiß, daß Du dieß von selbst und ohne meine Bitte thust; aber ich wollte Dir nur bezeugen, daß Du dadurch auch meinen innigsten Wunsch erfüllst.
Gott erhalte Dich, Deine liebe Frau und die liebe Kleine diesen durchaus wohl und gesund! Und lohne Dir, was Du an meinen Kindern gethan und thust, an allen den Deinigen reichlichst!
Ich muß schließen, da die Zeit grade in diesem Augenblick mir sehr zusammengeht.
Wie immer
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]
Fr.