Herrn
MedicinalRath Dr. Schelling
in
g[an]z frey.
Erlangen .
Liebster Bruder!
Es hat mich recht betrübt, daß Du meine Hoffnung, Du könntest Dich zu einem Besuche in Erlangen entschließen, sogleich ganz niedergeschlagen : ich lasse Deinen Gründen Gerechtigkeit widerfahren, aber daß Dir und Deiner lieben Frau eine augenblickliche Entfernung von St˖[uttgart] wohlthätig gewesen und auch jetzt noch seyn würde, bin ich überzeugt. Wäre denn nicht möglich, irgend ein drittes sich auszudenken, wobey alles sich vereinigen ließe? Ich würde gern, Dich zu seh’n, auch an einen dritten Ort kommen. Es ist mir vor und während der mehrmals durch den Kopf gegangen, mich auf den Postwagen zu setzen, um Dich ein Paar Tage zu sehn, aber Umstände und Beschäftigungen, die mich fesseln, wollten es nicht verstatten. Ich wäre nicht gekommen, Dich trösten zu wollen, sondern eher mir selbst Trost zu suchen; denn so oft ich an Deinen Verlust denke überfällt mich selbst die tiefste Betrübniß, der ich kaum Meister werden kann, und alles Schmerzliche, was das menschliche Leben, selbst in seinen höchsten Freuden und Genüssen, mit sich führt, tritt wieder vor meiner Seele. Ich glaube und hoffe gewiß, auch dieser tiefe Schmerz, den Du und Deine liebe Frau erfahren mußten, wird später wieder in jene Freude verklärt werden, die allein dem Menschen und Christen zuzukommen scheint, deren Grundton eine nie aufhörende aber doch bewältigte Trauer bleibt.
Laß’ mich doch nur bald hören, wie Du und Deine liebe Frau sich befinden; suche doch ja Deine und ihre Gesundheit zu erhalten, mäßige auch in dieser Hinsicht Deinen und ihren Schmerz. Irgend eine größere Reise in Gesellschaft Deiner lieben Schwiegereltern würde gewiß heilsam seyn. Möchte diese in einer Richtung unternommen werden, daß ich hoffen könnte, Dich zu sehen!
Wenn nur Clärchen was sie durch die Zerstreuung, die sie Deiner lieben Frau gewährt und durch ihre gewiß zärtliche Anhänglichkeit von der einen Seite nutzen kann, nicht durch die, Kindern ihres Alters so natürliche und gewöhnliche Gleichgültigkeit in ein unangenehmes Gefühl über ihre Gegenwart für euch verwandelt!
Von den Knaben in Nürtingen, die gewiß schmerzlich betroffen waren, habe ich noch nichts darüber; sie schreiben nie, eh’ wir ihnen geantwortet, und in ihrem gleich nachher geschriebnen Brief schweigen sie ganz davon, wahrscheinlich auf Geheiß des Herrn R˖[ector] Plank zur Schonung der Mutter, die noch in Wochen war.
Empfiel uns auf’s Zärtlichste Deiner lieben Frau, und laß’ uns doch recht bald von Dir und ihr erfreuliche Nachrichten hören! Mit betrübtem Herzen aber inniger Liebe
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]
Fr.