Herrn
Medicinalrath Dr. Schelling
Liebster Bruder!
Ich bin Dir schon so lange Brief und Dank schuldig, und komme nun doch nicht eher dazu Dir zu schreiben, als durch Herrn von Haller. Der Besuch dieser werthen Freunde hat uns das größte Vergnügen gewährt, besonders da wir durch sie zugleich soviel von Dir, Deiner lieben Frau und unserem Clärchen hörten. Hüte Dich doch recht vor neuen Anfällen Deines Gesichtsübels, es ist für dergleichen ein besonders schlimmer Winter. – Was sollen wir aber sagen von all’ dem überflüssigen und viel zu reichlichen Guten, womit Du und Deine in solchen Beweisen von Güte unerschöpflichen Frau uns abermals überhäuft haben! Es war doch wahrlich an dem Einen genug; aber der großen Schachtel für die Kinder, mußte noch die colossale, alle billigen Dimensionen übertreffende Punsch-Torte folgen! Nur für Deine liebe Frau will ich beysetzen, daß meine Frau, soviel es ihre Umstände erlauben, sie sich trefflich schmecken läßt – gewiß das Angenehmste, das ich der gütigen Schwägerin sagen kann.
Daß meine liebe Frau sich eben gar nicht wohl befindet wird die Frau von Haller sagen, und so will ich um so weniger ein Geheimniß daraus machen. Bis zum Eintritt des ging es leidlich, sie hatte ganz gute Tage, das Übel nahm nicht zu, ja zuweilen schien es sogar abzunehmen – aber seit jener Epoche hat es zusehends zugenommen, die Kräfte sind mehr, als früher, gesunken, Schmerzen haben sich eingestellt – doch muß ich gleich hinzusetzen, daß diese Erscheinung so wie der Mangel an Appetit auch wohl zum Theil zufällig, Folge von Erkältung und mehr rheumatischen Ursprungs seyn könnten, wenigstens haben die Schmerzen seit wieder nachgelassen und der gänzlich gesunkne Appetit hat sich wieder eingefunden. Unter diesen Umständen hat sie den Anfang gemacht mit dem Gebrauch des Marienbader Wassers und ängstlich harren wir der Wirkung, an der ich nicht zweifeln kann, weil ich durch eigne Erfahrung mich von der bedeutenden Wirksamkeit desselben und seiner großen Analogie mit dem Carlsbad überzeugt habe. Bis jetzt hat aber ihre Natur noch nicht reagirt, was ich übrigens, da sie sich sonst wieder etwas besser dabey befindet, eher für ein gutes als schlimmes Zeichen zu halten geneigt bin. Es wird immer wahrscheinlicher, daß der Sitz des Übels in einem zum Verdauungssystem gehörigen Eingeweide oder seinen Umgebungen ist. Wasser, wenn welches da seyn sollte, wovon jedoch keine Spur ist, könnte sich nur secundär gebildet haben. Kunst und Wissenschaft scheinen hier an ihrer Gränze zu stehen, und so bleibt nur Eine Hoffnung übrig! – – Vielleicht beschert der Himmel Dir irgendwoher noch einen glücklichen Gedanken; leider muß ich, je mehr ich die Sache nach allen Umständen, ihrem ganzen Habitus und besonders, daß sie bey gutem und gesundem Appetit sich doch nie, wie andre Menschen, recht genährt hat, auf
Frau von H˖[aller] wird Dir eine sehr traurige Schilderung ihres Zustandes machen, jener Tag war grade einer der schlimmsten, sie hat sich jetzt wieder etwas erholt, aber groß bleibt immer die Schwäche, sehr bedenklich der ganze Zustand, und höchst unsicher jede solche augenblickliche Erholung. –
Lebe wohl, liebster Bruder, tröste uns wenn Du kannst. Gott erhalte Dich und Deine liebe Frau gesund. Küsse unser liebes Clärchen, und empfiel uns allerseits bestens!
Dein tr˖[euer] Br˖[uder]
Fr