Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Liebster Bruder,

Ich erhalte heute einen Brief von Dir, der nach dem Postzeichen vom ist. Dieser beantwortet meinen Brief vom ohne des früheren vom , ebenfalls datirten, Erwähnung zu thun. Ist vielleicht dieser Brief nicht in Deine Hände gekommen, oder Deine Antwort auf denselben nicht in die Meinigen? Ich bitte Dich mir darüber gleich zu schreiben, damit ich Nachfrage halten kann. Es würde mich betrüben, wenn Du den ersten Brief von mir nicht erhalten hättest, da Dir der zweyte, als erster, sehr kahl und kalt vorkommen mußte; besonders hatte ich in dem ersten zu entschuldigen gesucht, daß Du wegen meiner, und halb durch meine Schuld, in so große Besorgniß gestürzt worden warst. Ich hatte nämlich den Brief, der Schuld daran war, vielmehr in der Absicht angefangen zu dictiren, um Dir von meiner Krankheit, als einem bereits wieder überwundenen Uebel, auf den Fall, daß Dir anderswoher eine Kunde zuflöße, beruhigende Nachricht zu geben. Ich konnte Schwäche halber nicht fortfahren, und meine Frau, die mir ihre noch fortdauernden und auch wohl entschuldbaren Besorgnisse natürlich nicht mitgetheilt hatte, setzte den Brief in anderem Sinne fort. So weh es mir übrigens thun sollte, wenn mein erster ausführlicher Brief an Dich verloren seyn sollte, so würde es mir doch noch weher thun, um einen Brief von Dir gekommen zu seyn.

An Deinen Vorschlägen und Anerbietungen die Du mir in Deinem vorletzten Briefe gemacht hast, und die Du in den heute erhaltenen wiederholst, erkenne ich Dein ganzes Herz, voll echter Bruderliebe. Es ist alles so reitzend, bis auf die schneeweise Ziege und die Reitpferde, daß ich kaum widerstehen könnte, wenn es die Umstände übrigens mir für meine Person erlauben würden. Aber, liebster Karl, daß Du Deine Einladung auch auf meine Frau und sämtliche Kinder ausdehnst, ist zuviel. Du hast keine Erfahrung daran, was 4 Kinder, denen man doch auch eine Wärterinn mitnehmen müsste, so genügsam sie auch immer gewöhnt seyn mögen, für eine Unruhe in ein Haus bringen. Deine Frau und Du würden sich darüber verwundern, und die Unruhe über eure Beunruhigung würde vielleicht selbst die Vortheile meines Aufenthaltes bey Dir für mich nicht wenig vermindern. Wiederum aber, mich ganz von Frau und Kindern zu trennen, würde mir vielleicht zu schmerzlich fallen, auch kommt dazu, daß ich auf jeden Fall wieder nach Carlsbad und zwar schon ’s zu gehen gedenke. Wir wollen also die Sache einstweilen ausgesetzt seyn lassen, und nach Umständen und Verhältnissen einen Entschluß fassen, wenn es Zeit dazu seyn wird.

Bey der Schnelligkeit, mit welcher meine Kräfte wieder zunehmen, würde ich übrigens schon im bey gelinder Witterung, ganz gewiß aber im , die Reise antreten können. Ich begebe mich jetzt schon Vormittags vor 11 Uhr aus dem Bette und verweile ausser demselben, ohne Nachtheil, bis Abends 6 Uhr. Heute kann ich schon an einem Stocke allein durchs Zimmer gehen. Ich vertrage schon etwas Rindfleisch und esse mit ziemlichen Appetit. Starke Ausleerungen in der haben mich beynahe auf den Gedanken gebracht, daß die vollständige Crisis, die ich in Carlsbad nicht abwartete, und nachher, wie mir der treffliche Leibarzt aus Dresden Dr. Kreyssig voraussagte, durch den Gebrauch des Franzensbrunnens gehemmt hatte, von der Natur, wenn nicht eben durch meine Krankheit, doch bey Gelegenheit derselben, vollends bewirkt worden sey. Der Husten hat sich, besonders auf den Gebrauch von Extr˖[actum] Hyosc˖[yami] und häufigeres Trinken von warmer Limonade, dem einzigen Getränk der Art, das mir nicht zum Eckel geworden ist, beträchtlich verbessert. Uebrigens werde ich Deine Rathschläge noch besonders zu befolgen mir angelegen seyn lassen.

Das Scharlachfieber hat bey unserer Kleinen bis heute, dem , einen ziemlich ruhigen und keine Sorgen erregenden Verlauf genommen. Keines der andern Kinder ist bis jetzt angesteckt; wir hoffen mit Gotteshülfe vollends glücklich auch durch diese Noth durchzukommen.

Auf Herrn von Wächters Anfrage, sowie auf die frühere des Herrn von Haller, antworte ich in meinem nächsten Briefe.

Grüsse aufs Zärtlichste Deine liebe Frau von uns beyden, ebenso unsere liebe Schwester, deren liebevollen Brief ich mit der nächsten Gelegenheit beantworte.
Schone nur Dich und erhalte bey der fortdauernden Kälte und Deinen anstrengenden Arbeiten soviel möglich Deine Gesundheit.
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.