Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Ich danke Dir herzlich für Deinen theilnehmenden Brief. Es ist auch ferner Alles gut gegangen; es machte uns das Stillen viele Noth und ist auch jetzt, obwohl besser als bisher doch nicht ganz im Gange. Einer Aufrichtung, wie sie mir durch die Geburt dieses geist- und lebensvollen (obschon kleinen und zarten) Kindleins geworden ist, habe ich bedurft, nachdem der unglückliche Fall mit Gehlen an sich und noch durch besondre Umstände für mich sehr angreifend wurde. Zwey Stunden vor seinem Ende erhielt ich noch ein, mühsam aber doch leserlich geschriebnes Zettelchen, worinn er mich um Gottes Willen beschwor sein Retter zu werden; als ich kam, schloß er mir seinen, wie er sagte ihm unerträglichen und jeder Dauer unfähigen Geisteszustand auf, den er mit völliger Besinnung und dem richtigsten Ausdruck schilderte. Alles was er mir sagte und was sich durchaus auf eine physikalische oder chemische Intuition bezog, kraft der er alles in allem, nicht phantastisch sondern wirklich, leibhaft zu sehen, alles in alles eben so verwandeln zu können behauptete, zeigte mir, daß sein Geist schon im Weggehen vom Körper begriffen sey. Dieser Zustand und seine Beschreibung erfüllte mich um so mehr mit Schauder, als ich seinen gewissen, aber noch von niemand erwarteten daraus voraussah. Ich habe an ihm den redlichsten und zuverlässigsten Freund verloren. Da er auch Dir besonders wohl wollte, wie er mir denn noch wenige Wochen vor seinem Ende das 1ste Heft seines pharmaceutischen Journals für Dich gab, das ich Dir gelegenheitlich überschicke, so will ich Dir von dem auch, medicinisch merkwürdigen, Fall noch etwas Genaueres schreiben, als von unwissenden Händen in die Zeitungen gesetzt worden. Er hatte bey einer eben angefangenen Reihe, interessanter Versuche über Metallverbindungen, durch denselben Proceß, der gewöhnlich Arsenik-Wasserstoffgas giebt, eine Luftart erhalten, an der er den gewöhnlichen Geruch vermißte. Theils sie zu prüfen, theils in der Meynung, eine verschiedne oder doch weniger gefährliche Luftart einzuathmen, mochte er höchstens 4 Cubikzoll aus einem mit ihr gefüllten Gläschen durch die Nase eingezogen haben, als ihn kurz darauf heftiger Schwindel, tödtliche Schwäche, endlich ein Würgen des Magenmundes und Erbrechen befiel. Bey dem letzten Symptom blieb es fast die ganze Krankheit, Kolik gesellte sich nie dazu; alles zeigte, daß die Vergiftung unmittelbar das Nervensystem betroffen, und vom reproductiven nur vorzugsweise die Magen-Nerven angegriffen waren. Übrigens brach gleich die fürchterlichste Gelbsucht aus, die indeß (gewiß kein gutes Zeichen) am dritten Tag plötzlich und ohne eine Spur zurückzulassen verschwand. Die ganz eigne Art der Vergiftung, von der sich in allen möglichen praktischen Hand büchern, die sogleich nachgeschlagen wurden, kein Beyspiel fand, wurde indeß wie eine gewöhnliche, anfangs mit Schwefelleber, mit Bädern, dann auch mit andern doch meist ziemlich unwirksamen Mitteln behandelt. Sechs Tage mochte wohl die Täuschung gedauert haben, während welcher die Ärzte (darunter auch der Königliche Leibarzt) Rettung hoffen ließen, als er auf die oben angezeigte Art, ohne äußeren Kampf, wie durch eine bloße Dämpfung oder Erstickung des physischen Lebens, still und schnell endete. – Friede ist mit seinem Geist, denn er war in jeder Beziehung ein frommer, treuer und reiner Mensch.

Oft hatte ich Dich während der Zeit hergewünscht; denn gewiß konnte hier der Schlendrian nicht aushelfen. Wenn Du einigermaßen Zeit hast, laß mich doch Deine Gedanken über diesen Fall wissen.

Theile auch unsrer guten Mutter die Umstände mit; ihr Antheil und der über diesen Verlust geäußerte Schmerz haben mich wahrhaft gerührt; sie sind das schönste Zeugniß für den Werth des Verstorbenen. Gieb der lieben Mutter und dem Schwager die beiliegenden Briefe.

Ich habe schon vor länger als 14 Tagen an Cotta geschrieben und ihm die Handschrift einer Abhand˖[lung] angekündigt, die er verlegen und dort drucken lassen sollte. Die Abh˖[andlung] selbst gieng am von hier ab Auf beydes habe ich noch keine Antwort. Ich bitte Dich, so gehäuft auch Deine Geschäfte seyn mögen aus Liebe zu mir, im Fall daß Cotta verreist oder krank seyn sollte, oder auch auf jedem Fall, einen Gang in seine Buchhandlung zu machen, und Dich wegen der Ankunft meiner Briefe zu erkundigen. Es ist mir an der Abh˖[andlung] sehr viel gelegen, der Druck erfodert Zeit, und (weil viel Hebräisches und Arabisches drinn vorkommt) besondre Sorgfalt. Es wäre mir sehr gefehlt, wenn Cotta jetzt nicht da wäre; aber der Druck könnte doch in keinem Fall auf seine Rückkehr warten. Für diesen Fall bitte ich Dich also, mit dem Factor der Buchhandlung mündliche Rücksprache zu halten, damit gleichwohl alles baldmöglichst zum Druck eingeleitet und nach meinem Wunsche besorgt werde. Je nachdem die Abh˖[andlung] in Stuttgart oder Tübingen gedruckt wird, wüßtest Du wohl auch einen Mann anzugeben, der einerseits gelehrt andrerseits discret genug wäre, um ihm eine Correctur anzuvertrauen; denn übrigens habe ich mir die zweyte Revision vorbehalten. Vielleicht wäre Conz der Mann.

Nun, liebstes Brüderchen, leb’ recht wohl, fahre fort durch alle Mittel Deine Gesundheit zu befestigen. Meine Frau grüßt Dich schönstens und dankt für den wegen der fehlgeschlagnen Hoffnung ertheilten Trost. Deiner lieben Frau wünschen wir beyde nicht minder angelegentlich empfohlen zu seyn. Gott mit Dir!
Dein
treuer Br˖[uder]

Fr.

N.S.

Ich habe noch an die Cotta’sche Buchh˖[andlung] geschrieben. Sey so gut mir den Brief gleich auf die Art zu besorgen, daß in Cotta’s Abwesenheit sein Commis den Brief aufmacht