Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Hochwohlgeborner
Hochzuverehrender Herr Direktor!

Nicht ohne große Schüchternheit und nicht ohne einiges Selbstvertrauen ergreife ich zum zweitenmal diese Feder. Wohl weiß ich, wahrlich ich weiß es, an wem ich schreibe! Aber wie jene Schüchternheit die Kraft mir benehmen will, so stärkt dieses Vertrauen mir den Muth, aber eben nur dadurch, daß in ihm wie ein ewiges Christusbild Ihre erlauchte, mir ewig allgegenwärtige Gestalt tröstend lebt, Seegen auch mir zuwinkend und Gedeihen. Nur diese giebt mir mit der reinsten Verehrung zugleich den Muth des Vertrauens, der die Kraft der Dehmuth sich selbst erschafft. Aber offen muß ich reden, ganz offen und unbefangen, wenn ich mich unterstehen will, an Sie zu schreiben.

Die Schrift lehrt uns: Jesus bedurfte nicht, daß jemand Zeugniß gäbe von einem Menschen, denn er kannte sie alle und wußte wohl, was im Menschen war. (Joh.2,25) Mir ward das Glück, worauf ich so lange gehofft hatte, zu Theil, Euer Hochwohlgeboren zu sehen, zu sprechen. Sie kennen mich, durchschauen mich, wenn auf der ganzen Erde irgendwer. Diese Gewißheit giebt mir auch die unbefangene Sicherheit, fortzufahren in diesem Briefe, fast ohne zu erröthen, wenn dieses möglich ist bei Gedanken an Ihre Wirklichkeit, ja fast ohne zu erstaunen über die eigene Kühnheit vor mir selber. Schwankend ist meines Erdverhältnißes äußere Lage, ich muß jede Stunde den Grund, worauf ich trete, mir wie von vorne herein wiedererschaffen. Seit ist mein Vater todt, meine Mutter, immer kränklich, lebt kümmerlich von ihrer Pension und schwankt immer mehr dem Grabe zu. Unbekannt dem Staate bin ich ohne Unterstüzung und lebe blos durch die Thätigkeit des Selbstbewußtseins meines Rechtes, das ich habe, von der Wirklichkeit zu verlangen, daß sie meine Existenz erhalte. Aber um meine Existenz ist mir nur zu thun, weil mir um meine wahre und geistige Wirklichkeit zu thun ist und meines Lebens einziger Gedanke in dieser Beziehung war von jeher der, mich zum akademischen Lehrer der Philosophie zu bilden. Euer Hochwohlgeboren werden darin gewiß weder die Sprache der Klage, noch der Anmaßung finden. Seit ich mit dem wirklichen Gotte, mit der Freiheit wieder versöhnet bin durch – die Wissenschaft, habe ich noch nichts gewollt, was ich nicht vollbracht hätte. Die Worte: »der Mensch wisse nur, was er ist und er wird sein, was er solle« gelten auch hier. Euer Hochwohlgeboren durchschauen meine etwanige Fähigkeit oder Unfähigkeit, Würdigkeit oder Unwürdigkeit zu diesem Amte. Darf ich es nicht wagen, in Form einer Frage die Bitte auszusprechen, ob Sie in Ihrer Gnade auch die Gewogenheit haben wollten, auch mich in Beziehung auf jenes Amt zu empfehlen oder ein Zeugniß mir auszustellen über jene Fähigkeit. Mögte dieses Briefes vielleicht zudringliche Offenheit den versöhnenden, wie Ihre Erkenntniß den begeisternden Zug haben, der mich in Ihrer Gewogenheit wenigstens erhält. Erlangen wäre mir schon wegen dieser Nähe der erwünschteste Ort. Von seiner Excellenz, dem Herrn Minister von Stainlein an Herrn Minister von Zentner gnädigst empfohlen – daß ich ganz unverholen spreche – fehlt mir nichts als ein Wink aus Ihrer vielvermögenden Hand. Wohl weiß ich, was ich bitte und von wem ich bitte, aber die Verehrung giebt mir diesen Muth. Schon liegt mehrere Tage jene Empfehlung an Herrn von Zentner, ja leider schon mehrere Wochen in meiner Verwahrung, bevor ich den Muth mir geben wollte zu dieser Bitte. Sei dem aber, wie ihm werde: ich kann immer Ihre Gerechtigkeit nur für Gnade, Ihre Gnade nur als seegnende Gerechtigkeit betrachten, sie sei nun verneinend oder bejahend diese Bitte als die Kühnste meines ganzen Lebens. Hieher leitete mich der Gedanke Homers:

Kühn und zage du nicht! Dem muthigen Manne gelinget
Jegliches Werk am besten – und ob er auch anderswo herkommt!

In ewig unveränderlich gleicher Hochachtung, jeder Zukunft gewärtig, habe ich die Ehre, mit dem heißesten Seegenswunsche für Ihre Gesundheit,
erfurchtsvoll zu verharren
Euer Hochwohlgeboren
unterthänigster Diener

Joh. Georg Christian Kapp, D.