Nürnberg den .
Erlauben Sie, hochgeehrtester Freund, daß ich Ihnen einen wackern jungen Mann, Herrn Schorn von Castell vorstelle, dessen Absicht ist, sich einige Zeit in München aufzuhalten, um die Kunstsammlungen und die Königliche Bibliothek zur Fortsetzung seiner Studien zu benutzen. Herr Sch˖[orn] hat Theologie studiert, war seither Lehrer an der Schule in Castell und ist jetzt, nachdem diese Anstalt aufgelößt worden, gesonnen die ihm gewährte Muße zu seiner weiteren Ausbildung in der Mahlerkunst zu verwenden, wozu er, wie mir’s scheint, ein recht schönes Talent besitzt. Er wünschte besonders Ihnen bekannt zu werden, und ich glaube ihn Ihnen als einen redlich strebenden, verständigen und bescheidenen Mann empfehlen zu können. Auch Herr Sulpitz Boisserée, welcher ihn vor kurzem bey uns einführte, sagte mir von ihm viel rühmliches. – Herr Sch˖[orn] hat bisher nur in Miniatur gemahlt; er wird Ihnen einiges von seinen Arbeiten vorlegen und, wenn Sie es ihm erlauben, Sie mit dem Zweck seines Aufenthaltes in München näher bekannt machen. Möchten Sie die Güte haben, ihn mit Rath zu unterstützen und ihn auch Herrn Director Langer vorzustellen, so werden Sie ihn und mich sehr verbinden.
Im habe ich, neben manchen andern Arbeiten, auch meine Untersuchungen über die entoptischen Figuren wieder aufgenommen, und es ist mir geglückt, einige weitere Aufschlüsse über diese merkwürdigen Erscheinungen zu gewinnen. Eine Vermuthung, welche ich schon früher gefaßt hatte, daß die Figurenbildung von einer ungleichen, obwohl gesetzmäßigen Spannung in den Körpern abhänge, hat sich mir durch mehrere Versuche bestätigt. Unter diesen ist eine Erscheinung den Mehresten, welchen ich sie zeigte, besonders aufgefallen, nämlich daß die entoptischen Figuren in dicken Glasmassen selbst durch äußern Druck hervorgerufen und mannigfaltig verändert werden können. – Alle krystallisirte verdoppelnde Körper erzeugen schon im natürlichen Zustande eben so reguläre, obwohl abweichende Figuren, als die dicken Glasmassen, doch nur in einer oder höchstens in 2 Richtungen ganz vollständige. Die entoptischen Figuren werden nun auch dem Krystallographen wichtig, indem sie ein neues Mittel zur Erfassung der Gesetze der Krystallisationsbildung gewähren, wo noch so manches ungewiß ist. Die Darstellung dieser Figuren in verschiedenen Krystallen hatte Schwierigkeiten, es ist mir aber gelungen sie durch ein einfaches Mittel auch in diesen vollständig darzustellen, so daß sie gemessen und das Gesetz ihrer Bildung näher wird bestimmt werden können. – Flüssigkeiten erzeugen keine Figuren, aber einige derselben besitzen die merkwürdige Eigenschaft, die entoptischen Figuren zu verändern, wohin ZB. mehrere wesentliche Öle gehören, und zwischen diesen Ölen zeigt sich wieder ein entgegengesetztes Verhalten, und eben so zwischen den Ölen und einigen in Wasser oder Weingeist aufgelösten festen Körpern. Diese optischen Entdeckungen führen uns abermahls in die Chemie und erwarten von dorther unsere Aufklärung, so wie die Chemie wieder durch die Optik neue Mittel gewinnt. – In einigen Entdeckungen bin ich mit Herrn Biot zusammengetroffen, ohne daß einer von dem andern etwas gewußt hat, doch wird er, glaube ich, in meiner nächstens erscheinenden Abhandlung noch manches ihm Unbekannte finden, so wie ich auch ohne Zweifel in der seinigen manches das mir entgangen ist. Ein solches Zusammentreffen ist unvermeidlich, wenn mehrere sich zu gleicher Zeit mit einer Untersuchung beschäftigen, auch selbst wenn sie so verschiedene Wege gehen, als bey uns beyden der Fall ist. – Was ich sehr zu beklagen habe ist, daß mir Apparate zum Messen fehlen, und daß mir so viel Zeit durch bloße mechanische Vorrichtungen verlohren geht, wie Z.B. durch Schleifen der Krystalle u.s.w. welche ich selbst übernehmen muß, da mir hier niemand so genau schleift, als ich es brauche. Auch an Mineralien ist nur wenig aufzutreiben, und so befinde ich mich denn leider häufig in dem Fall, Untersuchungen aufzugeben, welche ich gerne weiter verfolgte.
Ihre vortreffliche Abhandlung über die samothracischen Gottheiten habe ich mit großem Interesse gelesen. Kann ich Ihnen gleich in Ihren gelehrten etymologischen Untersuchungen nicht folgen, so habe ich mich doch der lichtvollen Aufschlüsse über diese schönen und bedeutenden Mythen erfreut, habe mich gefreut eine Zeit und Lehre uns näher geführt und wiederhergestellt zu sehen, welche für verlohren zu achten war. Möchte es Ihnen gefallen, uns nur auch bald mit den vollständigen Resultaten Ihrer Forschungen zu beschenken!
Die Meinigen empfehlen sich mit mir Ihnen und Ihrer geehrten Frau Gemahlinn angelegentlich und ich bitte Sie die Versicherung der reinsten Hochachtung zu genehmigen
Ihres
ganz ergebenen
Dr. TJ Seebeck
So eben erhalte ich von Goethe die Nachricht, daß er sich zu einer Reise nach Baden am Rhein bereitet. Er scheint sehr aufgeregt und angegriffen zu seyn, auch äußert er, daß ihm mehr Anstoß und Einladung, als innerer Trieb zu diesem Schritte bestimme. Er hatte früher den Vorsatz, diesen Weimar nicht zu verlassen, was wohl nicht gut gewesen wäre. Herr Hofrath Meyer begleitet ihn. Ich vermuthe, daß die beyden Freunde Sie im in München besuchen werden.
Leben Sie recht wohl.