Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Hochwohlgebohrner Herr Director
Hochverehrter gütiger Gönner!

Hochdieselben haben meinem Vater bis an das seiner Tage so unwandelbar Ihre gütige Gesinnungen erhalten, und diese hatten für ihn einen so hohen Werth, daß nachdem er in einer mir unvergeßlichen Stunde mit der herzlichsten Freude von Ihnen besonders von Ihrem lezten Zusamenseyn gesprochen hatte, mit steigender Rührung er weiter erzählte, wie er nun auch von diesem theuren Freunde sich verabschiedet aber von demselben die Versicherung erhalten habe, daß er solches unschäzbare Wohlwollen als eines der schönsten Vermächtnisse auf den Sohn vererben dürfe! Auf den Sohn der mit der dankbarsten Verehrung Sie unter seine höchste Wohlthäter rechnet, da er Ihrem mündlichen und schriftlichen Unterricht es vorzüglich verdankt einen Weg zu den Wissenschaften gefunden zu haben.

Gleich nach dem Tode meines Vaters hätte ich, gütiger Theilnahme gewis, so gerne von demselben und seinem Hinscheiden das wie zu erwarten war, seinem Charakter entsprach, geschrieben, auch später als ein Neffe meines Vaters der Ihnen wohl auch noch erinnerliche Decan Weber zu Nürtingen unaufgefordert aber in der beßten Absicht sich anschickte eine Biographie des Verstorbenen zu schreiben, und ohne Köstlins und mein Wissen einen Prodromus in dem Intelligenzblatt zur Jenaschen allg˖[emeinen] Litteratur Zeitung erscheinen ließ, hätte ich mich gerne gegen einen so nahen Freund des Verstorbenen dahin ausgesprochen, daß weder Köstlin noch ich an dieser Art der Behandlungsweise unmittelbaren Antheil hatten, und wenn wir von dem Verf˖[asser] vorher gefragt worden wären, wir ihm manche Abänderungen vorgeschlagen hätten.

Jezt erscheine ich schüchtern wie es dem Schüler vor dem Meister gebührt mit meiner litterarischen Arbeit und bitte daß Sie dieselbe des Ansehens würdigen möchten, da so Manches besonders gegen das Ende in derselben vorkommt, worüber Ihr Urtheil vor Allem mir das wichtigste wäre. Schon längst zog mich nemlich bey dem Studium zu dem mich meine erste Wahl und mein Beruf führt das der Geschichte der Menschenspezies in ihren historischen und räumlichen Beziehungen im Gegensaz mit dem des Individuum am meisten an, und nachdem ich vor meine geographische Nosologie zu Stande gebracht hatte, so wendete ich mich zur Geschichte der Krankheiten, wobey ich Alles viel schwieriger fand, da so manch Anderes in genauer Verbindung stehende vorher deutlich erfaßt werden mußte. Vergebens hoffte ich mit so vielen meiner Freunde und mit der grosen Zahl Ihrer Verehrer auf die Erscheinung der einsmal verheissenen WeltAlter! Unterdessen habe ich das, worauf emsiges Studium der Quellen und der Glaube, daß so manches scheinbar Getrennte oder als Ursache und Wirkung nacheinander Erscheinende im Höhern Eins sey, so wie die Ueberzeugung von einer unverkennbaren Entwicklung des Menschen-Geschlechts mich führten, bekannt zu machen gewagt, nicht ohne Hofnung daß höhere Seher durch ihr Urtheil mich bey der Bearbeitung des zweyten Theils leiten möchten, und dürften wir in Würtemberg hoffen, daß dieser Sie auch einige Zeit uns wiederbrächte, so würde es für mich die größte Angelegenheit seyn Ihnen meine Aufwartung zu machen, und theils Ihr Urtheil zu vernehmen, theils vorzüglich die Versicherungen inniger dankbarer Verehrung zu wiederhohlen, mit welcher ich unwandelbar verharre

Euer Hochwohlgebohrn
gehorsamster

Schnurrer.