Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Sr. Wohlgeborn

Herrn Director von Schelling

in

Erlangen

frey.

Euer Wohlgeborn,

Oftmahls schon hatte ich mir die Frage aufgestellt, ob es nicht Undanckbarkeit oder wenigstens ein Schein von Undanckbarkeit sey, nach erwiesener Freundschaft so lange zu schweigen, wie ich gegen Sie geschwiegen habe: ob es nicht einen Argwohn von Gleichgültigkeit errege, wenn derjenige, dem man Intereße gezeigt, nicht auch zeige, daß er Intereße mit Intereße, Gewogenheit mit Danck erwiedere. Ob mich nun gleich mein Herz keines Undancks, noch einer Gleichgültigkeit beschuldigt, so vermag ich es doch nicht zu ertragen, wenn je ein böser Gedancke, als hätte ich Ihrer vergeßen, in Ihr Herz sich eingeschlichen hat, und dabey bin ich, obwohl mit Unrecht, so stolz, zu glauben, daß Sie sich meiner, wie man sich einer flüchtigen Erscheinung erinnert, hie und da vielleicht erinnert haben.

Aber ein böser Schuldner, der mit Entschuldigungen beginnt! Und noch schlimmer, wenn er statt mit schwerem Gelde zu bezahlen, mit ungewichtiger Münze hervorrückt! Beydes ist mein Fall. Laßen Sie es sich gefallen, wenn ich meine Schuldigkeit dadurch entrichte, daß ich von mir und meiner Person spreche.

Nach meiner Zurückkunft von Erlangen war mein Lebenslauf der eines armen Candidaten der Theologie. Wenn sonst in der Welt die Schaale das Erste ist, durch deren Bitterkeit man zum Kerne gelangt, so war mir dagegen in meiner academischen Laufbahn die Schaale zulezt aufgetragen. Ich könnte Ihnen viel erzählen, wie ich mich durch Vorlesungen, deren eine Hälfte für an Wißen und Verstande gänzlich Unmündige, die andern zur Ehre der kirchlichen Orthodoxie gelesen zu werden schien, durchgeschlagen habe: wie ich von abgeschmackten Inquisitionsfragen gequält wurde, z.B. ob ich die an Pfingsten ausgetheilte Sprachengabe glaube, und ob der in der Parabel vom Sämann vorkommende Teufel der ächte veritable Teufel gewesen sey: eine Frage, die ich schriftlich zu beantworten hatte. Dazu kam noch jene Unbehaglichkeit, die man unter Leuten fühlt, die einem nicht recht trauen: denn meine Orthodoxie schien Einigen der Lehrer verdächtig: ferner die Müheseeligkeit des theol˖[ogischen] Studiums überhaupt, wo von den tausend Krücken, die überall gereicht werden, mir keine recht zu paßen schien. Denn stets kam es mir vor, daß ich mich, wenn ich eine derselbe ergriff, statt der Wahrheit zu nähern, desto mehr von ihr entfernte. Und ich glaubte bald zu bemercken, wie keinem unserer theol˖[ogischen] Systeme eine reine Auffaßung des Christenthums zu Grunde liege: wie das Geistige überall verknöchert, das Flüchtige gebannt ist. Daß beym Anblick dieser zerstreuten Waßer, des schiefen Aufbaues unserer Systeme und des tausendfältigen Gewirres mein Geist selbst zerstreut wurde, daß beym steten Suchen nach frischen Waßern mein Studium langsam vorrückte, können Sie sich leicht dencken. Und leider gieng es mir manchmal so, daß ich zu bemercken glaubte, daß, jemehr ich am Wißen zunehme, ich desto mehr am Verstehen abnehme. Wie gerne tauchte ich den Plunder der Gelehrsamkeit in das seelige Lethe eines nichts und doch Alles wißenden Glaubens, jener Ursache des Muths und der der Demuth der ersten Christen.

Dieß ist mein Zustand! – in zwey Monaten hoffe ich mich dem Examen zu unterwerfen, und wenn mich die Kanzel nicht sogleich festhält, auch Erlangen wieder zu sehen.

Laßen Sie mich scheiden! Ich habe genug gethan, wenn es mir gelang, mein Bild, als eines nicht Undanckbaren, auf einige Minuten, gleich einem flüchtigen Schemen, vor Ihr wohlwollendes Auge zu stellen, und so mag es sich denn jezt unter freundlichem Gruß an Sie und Ihre Frau Gemahlinn, deren Wohlseyn ich wünsche, wieder ins blühende Thal des Neckars zurückziehen. Leben Sie recht wohl!
Ihr aufrichter, ergebener
Verehrer,

F. Bardili.