Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Hochehrwürdiger Herr,
Hochzuehrender Herr Rector!

Gemäß Ihrer Bewilligung sende ich Ihnen nunmehr meine zwey Söhne. Die Trennung ist hart, aber wir trösten uns, da wir wissen, daß sie an Ihnen nicht bloß einen Lehrer sondern zugleich einen väterlichen Erzieher finden. Unverdorben sind beyde; aber die moralische Stimmung des älteren ist nicht durchaus wie sie seyn sollte. Eine wesentliche Veränderung darinn wird schon der strenge, folgerechte Unterricht bewirken, dessen sittliche Bildungskraft Ihnen aus Erfahrung gewiß ebenso bekannt ist, als die sittlich-nachtheilige Wirkung eines schlaffen, desultorischen und ungenügenden, dergleichen er leider bisher fast allein gehabt. Nöthig insbesondre ist, ihn zur Selbsterkenntniß zu bringen, da er leider nicht wahr und nicht streng gegen sich selbst ist und es daher auch sonst mit der Wahrheit nicht genau nimmt. Übrigens ist er ungemein bildsam und für seinen erfahrnen Erzieher gewiß leicht zu behandeln. Weniger bildsam scheint der jüngere, aber es ist in ihm ein größerer Fond von Wahrheit. Beyden wird eine liebevolle Strenge sehr heilsam seyn.

Was die Kenntnisse betrifft, so hat der ältere, Paul, schon einen großen Theil des Corn˖[elius] Nepos mit Verstand und einem Gefühl für Sprache gelesen, von dem Sie sich leicht überzeugen werden, wenn Sie ihm ein Capitel auswendig lernen und hersagen lassen. Dagegen ist er im Übersetzen aus dem Deutschen in’s Lateinische verhältnißmäßig mehr zurück, und obgleich er die Regeln alle kennt wegen geringerer Übung unsicher und in seinen Ausarbeitungen sehr ungleich. Wenn Sie daher nöthig finden, ihn vorerst in die mittlere Classe zu setzen, bin ich es ganz zufrieden, was ich nur deßhalb bemerke, weil er in seiner Selbsteinbildung mit Gewißheit hofft, in die erste zu kommen. Überhaupt wird es seiner Natur vorerst mehr zusagen, zurückgehalten als schneller befördert zu werden; versteht sich ohne niederschlagende Wirkung. Es wird dann, da ihm übrigens die Sprache schon geläufig ist, nur umso schneller bey ihm zum Durchbruch kommen. Er ist besonders in Kleinigkeiten sehr ungenau, arbeitet unglaublich geschwind aber auch flüchtig, und wenn er deßhalb im Anfang auch mehr, als er im Ganzen verdient, zurückgesetzt wird, kann es ihm nur heilsam seyn.

Der jüngere, Friz, bringt fast nichts mit als die Declinationen und Conjugationen; und wird also wohl der untersten Classe anheimfallen, doch hoffe ich soll er unter besserer Leitung bald in die mittlere sich aufschwingen. Er hat ein herrliches Gedächtniß und wenn er will Kopf genug, Etwas zu leisten, aber es wird einiger Strenge bedürfen, die ungemeine Trägheit, in die ihn ein noch schlechterer Unterricht hat versinken lassen, zu überwinden. Ist er einmal zum Ernst gebracht (denn bis jetzt sieht er gern alles als Spaß an, zu dem er überhaupt inclinirt) so wird er vielleicht noch besser anziehen, als der ältere, bey dem, bis jetzt wenigstens, das Talent über den Willen die Oberhand behauptet.

Doch – Sie werden beyder Natur und Art in Kurzem besser kennen, als ich sie zu beschreiben im Stande bin. Ich füge daher nur bey, daß ich die beyden Knaben Ihnen unbedingt übergebe, daß ich Sie bitte, auf meine völlige Einstimmung in jede Maßregel zu rechnen, die Sie zur sittlichen oder geistigen Besserung und Förderung derselben nöthig finden.

Schreibübungen werden beyden noch nützlich seyn; doch wünsche ich, daß sie mehr bloß in der schon erworbnen Hand mit Strenge geübt und mehr zu Genauigkeit und Reinlichkeit, als zur Nachahmung einer bestimmten Vorschrift angehalten werden. Einen Anfang im Zeichnen haben beyde gemacht, ich wünsche, daß sie einige Stunden auch jetzt noch Unterricht darinn erhalten können.

Von Büchern bringen sie nur, was sie hier hatten; die weiter nöthigen werden Sie die Güte haben, anzuschaffen.

Die Person, welche die Kinder begleitet, wird Ihnen 100 fl. übergeben, wovon 75 fl. als Betrag des Kostgelds auf 1/4 Jahr, 25 als Vorschuß zu nöthigen Ausgaben berechnet sind. Zum wöchentlichen Taschengeld der Kinder bestimmen wir 4 x. Doch wünschen wir, daß sie diese nur theilweise erhalten, weil sie bisher nie Geld in Händen hatten, und Paul unfehlbar alles auf Einmal ausgeben würde.

Zuletzt noch Eine Bitte! Ihre Zeit ist kostbar, antworten Sie also auf diesen Brief nicht; alles was Sie mir sagen könnten, davon bin ich zum voraus überzeugt. Wenn aber die Kinder eine Weile dagewesen und Sie Zeit finden, darüber, wie sie sich angelassen, mehr oder minder Erfreuliches mir zu melden, werde ich es mit Dank annehmen. Ich habe nur darum früher nicht geschrieben, um Sie nicht in den Fall einer Antwort zu setzen. Nehmen Sie dieß als ausgemacht zwischen uns an, daß ich schlechterdings Ihre Zeit zu schonen wünsche. Die Knaben sollen etwa jeden Monat Einmal schreiben.

Und so mögen Sie denn diese Kinder gütig und freundlich aufnehmen, die wir mit dem unbedingtesten Vertrauen Ihrer Erziehung, Ihrem Unterricht und der treuen Pflege Ihrer Verehrtesten Frau Gemahlin, der meine Frau und ich angelegentlichst uns zu empfehlen bitten, hiemit übergeben. Sey’n Sie beyde des herzlichsten und innigsten Danks der Eltern für jetzt und immer, ebenso wie der vollkommensten Hochachtung insbesondre versichert, mit welcher ich verharre
Ew. Hochehrwürden
gehors˖[amster] Diener

Schelling.