Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Liebste, beste Mamma!

Was werden Sie von mir denken, der ich fast ganz und gar nicht mehr schreibe? Aber Sie wissen schon, daß ich dessen ohngeachtet beständig an Sie denke und das Schreiben bey mir oft von so zufälligen Umständen abhangt, daß es wohl lang’ unterbleiben kann. Noch habe ich Ihnen nicht einmal gedankt für ein abermaliges Geschenk, mit dem Sie mich – beschämt haben. Wie kann ich Ihnen so viele Wohlthaten je vergelten! Es gehört unter die HauptKlagen meines Lebens, daß ich so gar Nichts thun kann, Ihr Alter zu erheitern. Der Himmel erhalte Sie wenigstens bis zu der Zeit, wo Verhältnisse und Umstände eher erlauben, Sie öfter zu sehen, als es jetzt geschehen kann. Wir haben dieß oft recht wehmütig an die angenehme Zeit gedacht, da Sie im vorigen mit unsrem guten Karl und seiner lieben Frau bey uns waren. Könnten wir nur alle Jährchen Einmal so zusammenkommen! – Eine Nachricht, die wir von Breyers gehört, hat uns sehr erschreckt, nämlich daß unsre liebe Schwester krank gewesen. Daß das Übel ohne Gefahr vorübergegangen, schließen wir aus Ihrem Stillschweigen. Wäre nur die Witterung auch besser, daß sie sich leichter wieder erhohlte! Hier haben wir ein Wetter, das den Gesunden krank macht, statt den Kranken gesund. Wir hoffen in dieser Woche wieder auf das Land zu gehen, wo wir uns voriges Jahr so wohl befanden, aber so wie sich die Witterung jetzt angelassen, werden wir wohl bis in hier bleiben müssen. Den Kindern besonders wollte ich den Genuß der Landluft wohl gönnen. Der Kleine gedeiht freylich so, daß er besser nicht gedeihen könnte; er ist jetzt ein wahres Wunderkind, das allen Leuten das Herz stiehlt, aber dem Paul wär’ es doch sehr heilsam, der hier lange nicht genug in die Luft kommt. Dieser spricht und versteht nun alles, was nur in seinen Kreis fällt, und entwickelt sich mit einer Geschwindigkeit daß wir wünschen müssen, diese Entwickelung eher zurükzuhalten als zu beschleunigen.

Herr M. Heyd ist hier gewesen; ich habe ihm soviel Ehre erzeigt als Zeit und Umstände erlauben wollten; einmal war er abends bey uns zu Tische.

Meine Frau wird schon geschrieben haben, daß wir auf nächste unsere Wohnung verändern. Die neue ist geräumiger und bequemer, aber, als sollte uns die vierte Bitte nie ganz erfüllt werden, haben wir dort statt der Martini die Roußeau zur Nachbarin.

Wäre uns die Freude vergönnt, Sie noch einmal in dieser Wohnung bey uns zu sehen!

Ich muß jetzt schließen und bitte nur noch mich dem Schwager und der lieben Schwester bestens, sowie meine Frau, zu empfehlen. Wir beyde küssen Ihnen die Hände und ich bleibe mit der innigsten Liebe
Ihr
Treugeh˖[orsamster] Sohn

Fr