Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Liebste, Theuerste Mamma!

Dank Ihnen, tausend Dank für den heute erhaltnen Brief. Er bringt mir zwar noch immer nicht die Nachricht, welche mein Herz auf’s Sehnlichste verlangt, von der gänzlichen Wiederherstellung unsres guten Karl. Doch bin ich froh, daß es nun so weit ist und will, nachdem ich einmal Muth gefaßt, nicht fürchten, daß nun erst die Folgen der Krankheit Gefahr bringen können. Wir müssen aber Alle Geduld haben und warten, bis auch noch das Letzte Überbleibsel der Krankheit weicht. An BlutEntziehungen wird ohnerachtet der fortdaurenden Hitze wohl nicht mehr gedacht; dieß mag recht gut seyn, aber weiß denn Karl selber nicht noch andre Ableitungsmittel außer Senf- und Blasen-Pflaster? Unblutiges Schröpfen längst des Rückenmarks ist vielleicht auch nicht versucht worden. In solchen Fällen muß man eben Alles versuchen. Ich lebe der gewissen Hoffnung, daß Gott Barmherzigkeit an uns erzeigen wird; es wäre ein Verlust, der über unser aller Kräfte gienge. Möge nun nur nicht noch andres Ungemach sich den großen Leiden beygesellen! Ich fürchte immer, Sie verschweigen mir Etwas. Warum schreibt mir unser lieber Schwager nicht mehr? Ich will hoffen, daß er nicht auch bedenklich krank sey. Aber meine Hauptsorge geht auf Sie, liebste Mutter, von der ich beständig fürchte, daß Sie sich über alle Ihre Kräfte anstrengen. Wenn Groß nicht schreiben kann, so findet sich doch vielleicht sonst jemand, durch den mir öftere Nachrichten zukommen können; denn Sie, liebste Mamma, sollten Sich nicht auch noch mit Schreiben abmühen. Aber nur bitte ich, mir immer alles schreiben zu lassen genau wie es steht. Ja wohl, könnte ich doch nur ein Stündchen täglich unter Ihnen seyn! Das würde besonders mir zur größten Aufrichtung gereichen. Gottlob, wir alle sind wohl; Paulchen gedeiht von Tag zu Tag mehr; kürzlich hat er wieder doch ohne alle Zufälle gezahnt und wir erwarten nächstens ein oder ein Paar BackenZähnchen. So oft ein Brief von der Gros-Mamma kommt, verlangt er gleich nach dem Spiegel um sich selbst mit größter Behaglichkeit einen Kuß zu geben, weil ihn die Grosmamma schon mehrmals in Briefen küssen lassen.

Nun, Gott sey mit Ihnen und lasse die großen Leiden, unter denen Sie alle geseufzet bald zu einem glücklichen frohen Ende gelangen!

Die zärtlichsten Grüße an den armen Schmerzausträger, unsern guten Karl und seine liebe Frau; und die innigste Liebesbezeugung von uns beyden an die liebste, beste Mamma, die es auf dieser Welt gibt.
Ihr
treugeh˖[orsamster] Sohn

Fr.