Schelling

Schelling Nachlass-Edition


An

die Frau Prälatin

von Schelling

in

Maulbronn

Liebste Mutter

Mein Haus ist seit kurzem ein Haus doppelter Trauer. Ich schrieb Ihnen bereits von den Umständen meiner lieben Frau. Alle angewendete Sorgfalt und Gegenmittel konnten die drohende Gefahr nicht entfernen. Gestern 8 Tag, den erfolgte die traurige Catastrophe, unsre süßeste Hoffnung ging verloren; meine Frau gebahr zu früh einen etwas über 3 Monat’ alten Knaben. Das Kränkendste, was mir widerfahren konnte ist geschehn. Ich meynte, es dürfte, es könnte nicht seyn. Ich glaube kaum, daß der Verlust eines völlig herangewachsnen Kindes mir so weh gethan hätte. Seit 8 Tagen habe ich mich von dem Bett meiner armen Frau fast nicht entfernt, und darum auch nicht geschrieben. Sie war natürlich in doppelter Hinsicht von diesem Unglück angegriffen, physisch und moralisch. Gottlob sie hat in diesen 8 Tagen sich etwas erholt und scheint außer Gefahr zu seyn. Es ist eine schreckliche Erfahrung, die ich keinem Mann und keiner Frau wünschen will.

Als die entfernte Ursache muß ich unsre Reise betrachten, welche der Arzt für meine Frau nicht nur zuläßig sondern erwünscht erklärte. Unglücklicher Weise trafen wir in Nürnberg den Marcus an, der die Unvorsichtigkeit hatte, in Gegenwart meiner Frau zu sagen, daß diese Reise in ihren Umständen sehr nachtheilig werden könne. Sie erschrak heftig darüber und war nun auf der ganzen Rückreise voll Angst. Die beständige Vorstellung von der Möglichkeit einer Gefahr, an die sie zuvor gar nicht gedacht hatte, hat vielleicht die nachtheiligsten Einwirkungen ausgeübt. Hinzu kamen die ersten häuslichen Einrichtungen in der Stadt, von deren eigner Besorgung sie schlechterdings nicht abzuhalten war. Den letzten Stoß gab ihr die unversehens erhaltne Gewißheit von dem Tode unsres guten Vaters. Wenigstens bekam sie den darauf heftiges Kopfweh und eine große Bewegung des Bluts, der nach einigen Tagen der erste Blutabgang folgte.

Wie oft haben wir uns in diesen unglücklichen Augenblicken unsern guten, trefflichen Karl hergewünscht! Bitten auch Sie ihn, liebe Mutter, um was ich ihn noch insbesondre bitten werde, daß er mir doch mit einigem Rath an die Hand geht, wie ich die Gesundheit und die Kräfte meiner guten Frau wiederherstellen, und ähnlichen Fällen für die Zukunft schon jetzt vorbeugen kann. Es ist doppelt traurig und ängstlich, da es gleich die erste Schwangerschaft ist, welche diesen unglücklichen Ausgang genommen.

Meine gute Frau grüßt und küßt die liebe Mutter auf’s zärtlichste; auch meine Schwiegermutter hat mir aufgetragen, den herzlichen innigen Antheil, den Sie an dem Verlust unsres guten Vaters genommen Ihnen zu bezeugen.

Ich denke beständig an Sie, liebe Mutter; wie kommt es nur, daß Sie mir gar nicht mehr schreiben? – Der Himmel erhalte Sie; gedenken Sie unsrer, die in ein doppelter so harter Schlag getroffen, in Liebe. Ich bin und bleibe mit der zärtlichsten Liebe
Ihr
treugeh˖[orsamster] Sohn

Fr.

In Eil.