Theureste Eltern!
Wie soll ich es nur anfangen, mich bey Ihnen wegen des langen Stillschweigens in einem so wichtigen Zeitpunkt meines Lebens zu entschuldigen? – Was ich zu meiner Rechtfertigung bis zu sagen hatte, war in einem Brief an Karl geschrieben; aber ich muß aus dem Brief der lieben Mutter abnehmen, daß derselbe gar nicht in Ihre Hände gekommen; sondern von Karl verloren oder wenigstens verlegt worden ist. Vielleicht hat ihn aber doch die Schwester gelesen, und diese, oder Karl selbst hat Ihnen daraus referirt. – Seit dem also war ich hier. In der ganzen Zeit von damals bis jetzt war ich so mit Besuchen, die wir zu machen und zu empfangen hatten, mit dringenden Arbeiten, die sich seit meiner Abwesenheit gehäuft hatten, und deren jetzt, nachdem die Akademie der Wissenschaften aus ihrem Schlaf gestört worden, überhaupt mehrere sind – durch dieß alles sammt den nothwendigen Besorgungen eines eben anfangenden Hausstandes war ich in Ansehung meiner Zeit so beengt, daß ich selbst diesen Augenblick, den ich zum Schreiben gegenwärtiger Zeilen aufwende, andern Geschäften mit Gewalt habe abdringen müssen. Ich tröstete mich damit, daß Sie doch durch jenen Brief an Karl von den Hauptumständen meiner Verheyrathung unterrichtet wären, und hoffte von Tag zu Tag, mich in meinen neuen Verhältnissen sammt meiner guten Frau, in Ihrer alterliche Liebe empfehlen zu können. Auch diese war mit Besuchen, mit Besorgungen aller Art nicht wenig geplagt; dennoch hat sie schon vor einiger Zeit anliegenden Brief an Ihre zweyten Eltern geschrieben. Sie werden ihn, auch verspätet, dennoch gütig aufnehmen. Wie sie darinn schreibt, so denkt sie auch; ich kann versichern, er ist aus dem Herzen gequollen; betrachten Sie ihn als einen Spigel Ihrer guten, reinen Gesinnungen, und lassen Sie ihr das Recht einer guten, Ihnen und mir innig ergebnen Tochter widerfahren. Ich bin überzeugt, Sie würden ihr herzlich gut werden, wenn Sie ihre persönliche Bekanntschaft machten. – Wie leid ist es mir, daß dieß nicht bey Gelegenheit des möglich ist. Mit welcher Wonne würde ich das Geburtsfest des lieben Vaters unter diesen Umständen mit begehen, da mein Herz selbst von dem Glück, das ich wiedergefunden, wie von dem meines liebsten Bruders an den ich gar nicht zweifle, tiefgerührt ist. Hoffentlich wird es mit der Hochzeit doch noch auf diesen Tag richtig werden. Es ist wenigstens für Karl sehr zu wünschen, daß sie nicht weiter hinausgeschoben werde. In diesem Zustand fast nothwendiger Zerstreutheit, worinn er sich jetzt befindet thut er sich vielleicht selbst für seine Praxis Schaden. Ich kann auf seine Nachläßigkeit schließen, da er auf meinen Brief nicht mit einer Sylbe geantwortet, noch mir und meiner Frau glückgewünscht, oder nur zu seiner Hochzeit eingeladen hat; das Erstere erforderte doch die gewöhnlichste Höflichkeit, wenigstens gegen meine Frau, besonders da er mich ersucht hatte, seiner Braut zu schreiben, geschweige die brüderliche Gesinnung, welche von ihm zu erwarten ich berechtigt bin. Glauben Sie nicht, daß ich ihm deßhalb böse bin; ich verzeihe ihm, so wie ich ihn kenne, recht von Herzen seine Nachläßigkeit und bitte Sie, liebste Eltern, ihm doch ja nichts von dem was ich hier geschrieben – wenigstens nicht vor seiner Hochzeit zu sagen.
Meine Schwiegermutter in Gotha hat schon in mehreren Briefen, so wie früher mündlich gebeten, sie Ihnen aufs angelegentlichste zu empfehlen. In dem letzten Brief an Ihre Tochter, die bisher auch der eignen Mutter kaum schreiben konnte, fragt sie diese: wie es denn mit dem Schreiben an Sie, liebe Mutter stehe? »Wenn ich auch zehenmal zurückstehen soll, so schreibt sie ihr, so will ich doch lieber, daß ich, als daß die Verehrungswürdige Schwiegermutter mit Briefen zurückgesetzt werde; meine Liebe hast du schon; die ihrige mußt du erst verdienen. Hat sie einst nur den 10ten Theil von Liebe für dich, den ich für den Schwiegersohn habe, so bist du schon glücklich genug.« – Sie wird sich sehr freuen, wenn wir ihr die Grüße von ihnen melden können.
Einen Brief von Ihnen, liebste Mutter, habe ich vor ohngefähr 3 Wochen erhalten; damals aber schienen Sie noch nichts Positives von meiner inzwischen erfolgten Verheyrathung zu wissen. – Ihres Antheils liebe Mutter, und zwar Ihres herzlichen