An
Frau Prälatin Schelling
in
Liebste, beste Mamma!
Ich danke Ihnen herzlich für die tröstlichen Nachrichten, die Sie mir über Ihr und aller der lieben Unsrigen Wohlbefinden mitgetheilt haben. Gott Lob, ich kann Ihnen sagen, daß auch bey uns bis jetzt alles seinen glücklichen, ungestörten Verlauf gehabt. Zwar mit vieler Mühe und unter empfindlichen, aber mit großer Standhaftigkeit und alles besiegender Mutterliebe erduldeten Schmerzen, hat es meine liebe Frau doch endlich dahin gebracht, den Kleinen zur regelmäßigen und ordentlichen Annahme der Brust zu bewegen. Er gedeiht nun seitdem zusehends, und zeigt immer deutlicher, daß wir auch seinetwegen Ursache haben, die Vorsehung zu preisen. Es ist ein geist- und lebensvolles Kind, das an Aufmerksamkeit und Regsamkeit dem älteren Bruder nichts nachgibt. Unsren Verehrungswürdigsten Herrn Onkel wollte ich gleich nach der Entbindung meiner Frau Nachricht geben und Ihn bitten, auch bey unsrem zweyten Kinde eine Pathenstelle so gütig wie bey’m ersten anzunehmen.
Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich mich einigermaßen in Verlegenheit gesetzt fühlte, einerseits der bey der letzten Veranlassung mir bekannt gewordnen übergroßen Güte und Freygebigkeit des theuresten Herrn Onkels abermals Ursache zur Äußerung zu geben, andrerseits eine Handlung zu unterlassen, die ich nicht unterlassen konnte, ohne, wenigstens nach den guten alten Begriffen, der Verehrung zu fehlen, die ich Ihm in so vieler Hinsichten besonders aber als Haupt unserer ganzen Familie schuldig bin. Nun ist der theuerste Herr Onkel allen diesen Bedenklichkeiten durch seine außerordentliche Güte zuvorgekommen, diese läßt mir nichts mehr übrig, als Ihm zu danken und auch das soll ich, wenigstens schriftlich, unterlassen. Es kommt mich hart an, Seinen Willen darinn zu erfüllen; um indeß diesen einzigen mir gelassenen Beweis meiner unbedingten Verehrung und Ergebenheit zu geben, bitte ich Sie, liebste Mamma, in meinem Namen diesen Dank dem theuersten Herrn Onkel auszudrücken, Ihm meine Frau und zwey Kinder auf’s Ehrerbietigste zu empfehlen, und unsern Wunsch auszudrücken, daß es uns so gut werden möge, Ihm einst die mit so zuvorkommender Liebe schon bey’m ersten Eintritt in die Welt empfangenen Zwey Großneffen vorstellen zu können, daß sie, wie jetzt in den Ferien, so dann unmittelbar und gleichsam von Seinen Händen den Segen empfangen, den ihnen ihr guter Grosvater in diesem Leben nicht mehr ertheilen konnte.
Recht oft, nicht bloß am , auch sonst, besonders bey Gelegenheit meiner zwey Kinder denke ich an unsern liebsten zur Ruhe eingegangenen Vater. Wie würde er sich der beyden Enkel gefreut haben! Besonders der Paul war gewiß ein Kind nach Seinem Herzen. Sie glauben nicht, welche Herzensgüte und Liebenswürdigkeit sich immer mehr in diesem Kinde zeigt. Er ist unsre wahre Lust und Wonne besonders seitdem das Brüderchen da ist, gegen das er seine zärtlichen Gefühle nicht genug ausdrücken kann. Aber der Segen unseres guten Vaters ruht auch auf diesen Kindern, die ihm darum nicht weniger angehören, weil er sie nicht mehr mit leiblichen Augen gesehen. Die Silhouette unseres besten Vaters ist ganz unverdorben in meine Hände gekommen. Sie hat doch viele, wenn auch nicht die völlige Ähnlichkeit und ist mir ein äußerst werthes Geschenk, das ich heilig verwahre.
Meine Frau glaubt, der Kleine würde Sie noch mehr, als einst Paul, interessiren. Eigen ist allerdings der Eindruck, ein so zartes Kindlein mit soviel Ausdruck im Gesicht zu sehen. Er scheint einen recht scharfen und strengen Geist zu erhalten und sich dadurch schon jetzt von dem gutmüthig-leichtsinnigen Paul zu unterscheiden. Wie oft meine Frau schon ausgerufen: Ach wäre die gute Mamma doch bey mir.« will ich Ihnen gar nicht schreiben. Inzwischen ist sie mit der Wirtembergerin ganz gut versorgt, die Tag und Nacht alle Aufmerksamkeit hat und besonders auch mit dem Kind recht zart und sorgfältig umzugehen versteht.
Was ich Ihnen neulich von Verlegung der Universität nach München schrieb, ist doch noch nicht so ganz entschieden, als man damals behaupten wollte; wahrscheinlich indeß immer.
Nun, liebste, beste Mamma leben Sie recht wohl und gesund. Gott gebe Ihnen Kräfte und erhalte Sie noch lange Ihren Kindern und Enkeln. Lassen Sie uns alle Ihnen bestens empfohlen seyn.
Ihr
treu geh˖[orsamster] Sohn
Fr.
N.S.
Liebste Mamma, halten Sie doch den Karl an, daß er mir meinen Auftrag in der Cotta’schen Buchh˖[andlung] gleich besorgt und nur mit 2 Zeilen Nachricht gibt.