Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

D. J.G. Cotta

Wohlgebohrn

in

Stuttgart

fr˖[ey] Gr[än]ze

Ich habe es sehr bedauert (ebenso meine Frau), Sie in Stuttgart nicht zu finden. Ich wollte Ihnen Nachricht von dem Stand der Weltalter geben und zugleich mit Ihnen über ein anderes Werk Rath halten. Der Grund, warum die Weltalter solang ausgeblieben, ist, weil ich schlechterdings das Ganze (in drey Theilen) zugleich erscheinen lassen wollte. Aber neue Abhaltungen, besonders die Nothwendigkeit eine öffentliche Schrift für die Akademie auszuarbeiten, benehmen mir die Hoffnung, auch bis mit dem Ganzen fertig zu seyn. Ich habe mich daher entschlossen, zu Ostern einstweilen den 1sten Theil, weil er ein Abgeschlossenes für sich ist, erscheinen zu lassen. Ich kann diesen wie das ganze Werk im Grunde für die Frucht alles meines Fleißes seit bald angeben. Ob und wann auch das darinn enthaltne System siegen wird: auf jeden Fall wird dieß Buch ein klassisches seyn für diese Denkart, zu dem ich selbst nichts hinzuzusetzen noch zu ändern haben werde. Ich habe ein großes Opfer von Zeit und manchen Vortheilen gebracht, um es zu meiner eignen Genugthuung zu vollenden. Dadurch daß ich alles andre bey Seite gelegt, bin ich natürlich auch in meinen Einkünften sehr zurückgesetzt worden, allein ich wollte mich durch solche Rücksichten einmal nicht stören lassen, sondern ruhig fortarbeiten unter andern auch in der Gewißheit, daß Sie mich deßfalls nicht würden stecken lassen. Ich hoffe daher auch, daß Sie mir es jetzt nicht verargen, wenn ich Sie bitte, eine Summe von 2000–2500 fl. zu meiner Disposition zu stellen. Ich muß hiebey bemerken, daß der erste Theil wenigstens 30, der zweyte 40, der dritte wieder 30 gedruckte Bogen beträgt; zugleich aber, daß ich vielleicht in der Nothwendigkeit seyn könnte, 2000 fl. schon bis zum zu verbrauchen.

Über das andre Werk, mit dem ich umgehe, das ich aber nicht anfangen will, ohne Sie erst darüber gehört zu haben, hätte ich lieber mündlich mit Ihnen gesprochen. Ich weiß nicht, ob schriftlich die Absicht sich klar machen läßt. In den Weltaltern ist nicht allein ein vollständiges metaphysisches, sondern zugleich religiöses System enthalten. Alle Ansichten sind zu dem Punct geführt wo sie schlechterdings in’s Leben eingreifen müssen. Wie denn von jeder Philosophie, die nicht wirkungslos für Welt und Menschheit vorüber gehen will, zu erwarten ist, daß sie nach überwundner wissenschaftlicher Schwierigkeit sich in das allen Menschen Verständliche und Annehmliche verkläre. So deutlich, für jeden gebildeten Menschen lesbar, die Weltalter geschrieben sind, so ist doch der Vortrag ruhig wissenschaftlich. Aber es dringt mich, die erkannte Wahrheit auch an’s Herz meiner Zeitgenossen zu legen, etwas zurückzulassen, das für mein ganzes Volk ist. Reden über die Religion, etwa wie die früheren von Schleiermacher, oder wie Fichte’s Anweisung zum sel˖[igen] Leben , behalten immer die wissenschaftliche Farbe. Ich habe mich überzeugt, daß bey einem Unternehmen der Art die positive Religion zur Basis genommen werden muß, ja daß man die Form nicht gewöhnlich genug wählen kann, um den edleren Stoff an die Welt zu bringen. Hier erinnerte ich mich geschickt eines Scherzes, den oft Frommann in Jena mit mir getrieben, der mir eine große Summe bot, wenn ich – – ein Predigtbuch schreiben möchte. Also – Predigten über die ganze christliche Lehre, die ich einem wirklichen Prediger in den Mund lege und nur als Herausgeber mich anstelle – Predigten in der gewöhnlichen Form obgleich von höchst abweichendem Inhalt will ich schreiben, sobald die Weltalter vollendet sind. Nur ein Verleger wie Sie kann etwas der Art recht unternehmen; über die Art, wie die Sache auszuführen, hätte ich gern mündlich Ihre Meynung gehört. Inzwischen bitte ich Sie, mir im Allgemeinen zu sagen, wie Sie diesen Plan ansehn und ob Sie dazu die Hände zu bieten geneigt sind.

Noch bitte ich, daß dieser Plan ganz und gar unter uns bleibe.

Noch vor Ostern wird eine Ab˖[handlung] über die samothracischen Mysterien, die zu einer öffentlichen Vorlesung in der Akad˖[emie] bestimmt ist, erscheinen müssen. Wollten Sie diese verlegen, und zugleich Anstalt treffen, daß sie zu gehöriger Zeit (etwa ) in Tübingen gedruckt würde, weil hebräische, arabische und a˖[ndere] Worte in den Anmerkungen vorkommen, wozu wir bis daher die Lettern hier nicht haben?

Ich wünsche, daß Ihnen die Badekur wohl angeschlagen habe und bitte Sie um baldige Antwort.

Mit Hochachtung und Freundschaft
Ihr
ergebenster

Schelling