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Madame Gotter née Stieler
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Weil Sie, geliebteste Mutter, mit der größten Gewißheit auf Briefe vom heutigen Datum zählen, so will ich trotz der Schwierigkeiten der Zeit und vieler dringender Geschäfte Ihnen nur kürzlich melden, wie es Ihren Kindern seitdem ergangen ist. Sie erinnern sich vielleicht, daß ich schon am Morgen Ihrer Abreise über ein Halsweh klagte, wovon der erste leichte Verdacht mich auf der Reise nach Lichtenfels zuerst angewandelt hatte, hernach aber den gewöhnlichen nächtlichen Erwärmungsmitteln immer wieder gewichen war. Die Anstrengungen, die abwechselnden Erhizungen und Erkältungen, des letzten Tags hatten es merklich verschlimmert, so daß ich schon 1 Stunde nach Ihrer Abreise selbst Mittel aus der Apotheke holen ließ, um ihr zu steuren. Auf 9 Uhr bat ich Marcus und Weyer. Der liebenswürdige Leichtsinn unsrer Freunde fand keine nähere Untersuchung nöthig, und Marcus sagte: es ist unbedeutend, unterwegs werden Sie es verlieren. Sonach bestiegen wir um 10 Uhr den Wagen und fuhren ohne Sorgen per Nürnberg. Aber schon auf dem halben Wege nach Forchheim (6 Stunden von hier) hatte das Übel sich so verschlimmert, daß ich in Forchheim Halt mußte machen lassen und im Wirtshaus absteigen. Nach 1/2 Stunde Ruhe stellte sich das heftigste Fieber, und nach und nach alle beschwerliche Erscheinungen einer vollkommnen Halsentzündung ein. Ich ließ den dortigen (als Naturforscher nicht unbekannten Arzt) Dr.
Von nun an bot M˖[arcus] alle seine Kräfte auf, nicht allein mich vor Gefahr zu schützen, sondern auch die Zeit abzukürzen. Alle die leidigen und oft schmerzlichen Scenen dieser schlimmen Krankheit sind durchgespielt worden. – Und wie verhielt sich bey dem Allen unsre liebe Pauline? werden Sie fragen. Kann ich es aussprechen? Unmöglich. Mein Schmerz ging bloß auf sie, die holde Seele, die so früh den Ehstand von der Seite seiner Leiden, und zwar der beängstigendsten, kenn lernen sollte. Aber ein höherer Geist gab ihr Kraft; sie stand mir wie ein Engel zur Seite. Nie kann, nie werde ich ihr diese Tage vergessen; auch hiedurch habe ich sie als ein Geschenk des Himmels erkennen gelernt – und zu den Empfindungen der reinsten Liebe für sie gesellt sich seitdem das einer unbeschreiblichen Rührung.
Liebste Mutter, Sie fangen bald an, wegen meiner in Sorgen gestürzt zu werden. Werfen Sie Ihre Sorgen auf den Herrn, wir vermögen ja doch nichts. Sie haben uns freylich, wie unsre Schutzgeister verlassen; denn seit dem Augenblick Ihrer Abreise hatten wir keine gute Stunde.
Rechnen Sie darauf, daß nicht bloß in Ansehung meiner, auch in Ansehung Paulinens alles geschieht, was zu ihrer GesundErhaltung erforderlich ist.
In diesen Tagen sehe ich meiner völligen Erlösung entgegen; wenigstens verspricht es der Freund. In Zeit von 5–6 Tagen hoffe ich nach M˖[ünchen] abreisen zu können. Der Himmel hat mich durch ein großes Feuer der Trübsal gehen lassen; unmittelbar aus dem Himmel in die Hölle gestürzt habe ich mich doch geistig nicht niederbeugen lassen. Beten Sie für uns; und seyn Sie übrigens was den Ausgang betrifft ganz ruhig.
Die besten Grüße an unser theures Julchen, an Cäc˖[ilie] an alle die sich unsrer erinnern mögen.
Der Himmel erhalte Sie gesund und beruhige Ihr Herz.
Ihr
treuester und ergeb[en]ster Sohn
Fr.