Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Was werden Sie, mein theurer, nie vergessener Freund, von mir denken, indem Sie einmal wieder einen Brief von mir erhalten? Lassen Sie mich die Jahre des Unmuths stillschweigend übergehen, in denen ich, ganz in mich zurückgezogen, nicht unthätig in mir selbst aber völlig nach außen, auch der Freunde nicht ohne ein gewisses schmerzliches Gefühl gedenken konnte! Sie gewiß von allen haben mich am wenigsten vergessen, in Ihnen, nachdem jene Zeit vorüber und ich wieder in alter Gesundheit, Kraft und Thätigkeit dastehe, darf ich hoffen den alten unveränderten Freund zu finden. Immer rechnete ich darauf Sie einmal in Deutschland zu sehen; was ich Ihnen zu sagen hatte, ließ sich nicht, läßt sich auch jetzt nicht auf dem Papiere ausdrücken. Kommen Sie denn nicht endlich? Wie oft habe ich mir nur Einen der mit Ihnen zugebrachten Abende zurückgewünscht!

Kürzlich habe ich hier einen ziemlichen Lärm angerichtet durch eine unerwartet freimüthige Rede; das auf Flaum gehen, so bei uns Mode, war mir schon lang zuwider. Doch nur gewisse Leute waren unangenehm betroffen; unter denen, auf deren Urtheil es mir ankommt, habe ich den allgemeinsten Beifall geerntet. Der Himmel weiß, wie es die Andern in die Ferne dem König berichtet haben. Von einer Seite wurde ich mit seiner unfehlbaren Ungnade bedroht, wenn ich die Rede drucken lasse. Grade darum ließ ich sie drucken, denn meine Meinung von dem König ist eine ganz andre, und damit gewisse Leute doch nicht berichten können, was sie wollen, sondern der König selbst urtheile. Am letzten Posttag habe ich ihm das erste gedruckte Exemplar geschickt und dazu geschrieben. Sie können leicht wissen, ob das Paket richtig angekommen ist; vielleicht auch noch mehr und wenigstens im Allgemeinen, welche Wirkung es gehabt. Fragen Sie nur immer herzhaft, ob Sr. Maj˖[estät] es erhalten haben? es liege mir viel daran. Herr Graf Seinsheim wenigstens wird davon wissen. – –

Schreibe mir doch wieder, alter Freund; ich bin unversehens aus dem Sie ins Du gerathen, laß es dabei und schreibe auch mir so, das andre will mir weder vom Mund noch von der Feder, wenn ich an Dich denke, Du lieber, ja liebster Freund, denn einen mit dem ich so ganz Eines Sinnes und Herzens sein könnte, wie mit Dir, habe ich in Israel nicht gefunden.

Leb wohl und rechne darauf, daß ich künftig ordentlich schreibe; schilt mich nur, aber schreibe –
Deinem
treu ergebensten

Schelling.