Herzlich werther Freund!
Was wirst Du von mir denken, daß ich auf Dein Geschenk so lange nicht geantwortet und gedankt? Ein -Aufenthalt in unsrem an Naturschönheiten reichen Gebirg, durch den ich mich gewöhnlich nach dem auffrische, trägt die Hauptschuld dieser Nachlässigkeit. Ich bin zwar viel zu wenig Kenner von würtembergischer Geschichte und Verfassung, um den ganzen Werth einer Schrift zu beurtheilen, wo wie mir scheint jedes Wort ein pondus ist; indeß wird, bei der Anerkennung dieses Unvermögens, der Dank für den Beweis Deines Andenkens, so fahl er erscheint, nach unsrer jetzt fünfundzwanzigjährigen Freundschaft, für Dich nicht ganz werthlos sein.
Fahre fort, geliebter Freund, auf dem einzig richtigen Weg, den Du betreten, laß nicht ab in Deinen Forschungen, durch welche die alte Herrlichkeit unsres Schwabenlandes und wie es als Vorbild ächt deutschen Sinns und Verstandes in allen Zeiten geleuchtet, immer mehr in’s Licht gesetzt wird.
Von Breyer, von unserer Akademie der Wissenschaften habe ich Dir gleichfalls den besten Dank für das überschickte Werk zu sagen.
Ich weiß nicht, ob ich Dir seiner Zeit meine Abhandlung über die samothrakischen Gottheiten geschickt habe; ist es nicht geschehen, so ist ein Gedräng von Geschäften in jenem Augenblick die einzige Ursache dieser Vergeßlichkeit. Indeß hast Du sie vielleicht aus einer verunglimpfenden Recension kennen gelernt, die aus der Jacobischen Werkstatt ausgegangen und von Herrn Köppen in Landshut verfaßt ist. Du kannst daraus sehen, wie Deinen Freund, dem man von Jugend auf blutwenig, aber doch Kenntnis von Sprachen zugestanden, ein offenkundiger Ignorant der Unkunde derselben zeiht. Doch davon wollte ich nicht reden, denn die eigene Ansicht der Abhandlung, wenn Du sie aufmerksam lesen wolltest, würde Dich überzeugen, daß die ganze Recension nur Eine Verdrehung in Unwahrheit ist; was ich Dir sagen wollte ist, daß es mir mit dieser Untersuchung Ernst ist, und ich glaube in Ansehung jenes ältesten Systems eine wahrhafte Entdeckung gemacht zu haben, die viel weiter greift, als ich vorerst andeuten konnte, und vielleicht selbst auf unser Urdeutschthum und seine Herkunft ein neues Licht werfen wird. Doch hängt alles Einzelne so sehr mit meinem allgemeinen Gedanken-System zusammen, daß ich mich nicht wundre, wenn vor Bekanntwerdung des letzteren Vieles von jenem unglaublich scheint.
Was macht Deine Familie? Ist sie seitdem vermehrt worden? Gedeiht fröhlich, wie ich hoffe, mein kleiner Pathe? Mir hat seitdem meine Frau einen zweiten tüchtigen Knaben geboren.
Lebe nun wohl, empfiehl mich bestens Deiner Frau Gemahlin und behalte in gutem Andenken
Deinen
alten Freund
Schelling.
München, den .