Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Schon längst, mein theurer Freund, hätte ich Ihnen für die Zusendung Ihrer trefflichen Schrift über die samothrakischen Gottheiten danken sollen; auch habe ich es im Herzen längst gethan. Daß es nicht früher auch durch Wort und Zeichen geschehen ist, werden Sie hoffentlich mit der allerdings sehr angestrengten Arbeit entschuldigen, die mich genöthigt hat, auch die liebste Beschäfftigung bis jetzt zu verschieben. Möge denn die Frucht dieser Arbeit, die ich Ihnen hier überliefere, als ein, wenn auch unzureichendes, Sühnopfer von Ihnen aufgenommen werden, und Ihre längst erprobte Freundschaft das Fehlende ergänzen!

Wenn ich Ihnen sage, daß ich Ihre Abhandlung mit dem lebhaftesten Interesse gelesen habe, so sage ich nichts weiter, als was sich von selbst versteht. Wie weit übrigens der eigentlich gelehrte Theil derselben über meinen Horizont geht, ist Ihnen nur zu wohl bekannt. Aber dennoch, abgesehen von diesem, einem Laien fast Schrecken erregenden Apparat, habe ich mich bemüht, so tief in die Sache einzugehen, als es einem, der weder Syrisch noch Chaldäisch versteht, erlaubt seyn kann. Mögten Sie nur die in der Nachschrift gegebene Hoffnung recht bald erfüllen, und uns nicht zu lange ein Werk vorenthalten, das ein jeder, der nicht ganz ein Barbar ist, mit dem lebhaftesten Verlangen erwarten muß.

Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr es mich freut, daß auch Sie noch mit Theilnahme jener guten alten Zeit gedenken, die in vielem Betracht die schönste meines Lebens war. Um so mehr aber schmerzt es daß die Hoffnung, sie in dem Umgange mit Ihnen zu erneuern, so schnell verschwunden ist. Es ist höchst traurig, daß der erste treffliche Gedanke, der seit langer Zeit in den Köpfen der Nutritoren dieser weiland berühmten Universität entstanden ist, so ganz ohne Frucht bleiben mußte. Mit der gespanntesten Erwartung sah ich dem Ausgange der Unterhandlungen entgegen; und obwohl mir nicht entging, wie viel Sie bei einer Veränderung Ihres Aufenthalts einbüßen müßten, so schmeichelte ich mir doch mit der Hoffnung, daß der Gedanke, ein Wiederhersteller des alten Ruhms dieses verwaisten Musensitzes zu werden, Ihnen nicht ganz gleichgültig seyn würde. Nun wird wohl alles so ziemlich bei’m Alten bleiben; wenigstens wird das Surrogat, zu welchem man in der Noth gegriffen, schwerlich eine bedeutende Veränderung des bisherigen Zustandes bewirken.

Zwar scheint man jetzt im Ernst gesonnen zu seyn, der Universität wieder etwas auf die Beine zu helfen. Man hat die Juristen Martin und Schmid hieher gezogen; man unterhandelt mit dem Orientalisten Gesenius, vielleicht auch mit Feuerbach und andern. Aber alle diese ehrenwerthen Männer werden den Geist nicht herbeizaubern, durch welchen Jena ehemals vor allen Universitäten sich auszeichnete, und den, wie ich fest überzeugt bin, Sie allein beschwören könnten. Nun ist die rechte Sternenstunde vorübergegangen, und schwerlich werden sich die Constellationen noch einmal so günstig zusammen fügen. –

Sie haben den ersten Theil des Calderon so freundlich aufgenommen, daß mir nichts zu wünschen bleibt, als daß der zweite sich mit einer ähnlichen Aufnahme möge zu erfreuen haben. Ich hoffe wenigstens, daß Sie mit der Wahl der Stücke werden zufrieden seyn. Das laute Geheimniß halte ich in der That für eins der besten Lustspiele, die es giebt, und durch die Vergleichung mit Gozzi’s ihm nachgeahmten Secreto publico, und mit Gotters, wieder dem letztern nachgebildeten, öffentlichen Geheimniß muß es noch ein neues Interesse gewinnen. Den wunderthätigen Magus habe ich eigentlich um Goethe’s willen gewählt, der diesem Stücke besonders gewogen ist. Ein höchst merkwürdiges Product ist es auf jeden Fall, weil es anschaulich macht, wie die nordische Idee des Faust (die ihm offenbar zum Grunde liegt) bei dieser südlichen Nation von einem so außerordentlichen Geiste aufgefaßt und ausgebildet werden konnte. Unser deutscher Faust darf indessen die Vergleichung nicht scheuen, so wenig als unser Mephistopheles die mit dem spanischen Dämon.

Daß Goethe vor kurzem seine Frau verloren, werden Sie vielleicht gehört haben. Dieser unerwartete Verlust scheint den alten Heros doch sehr angegriffen zu haben. Nicht, daß er die Verblichene eben besonders geliebt hätte; aber sie war doch die Mutter seines Sohnes, und sollte, nach dem natürlichen Laufe der Dinge, die Pflegerinn seines Alters seyn. Ich fürchte, wir werden den Unersetzlichen nicht lange mehr behalten.

Leben Sie wohl, theuerster Freund. Empfehlen Sie mich Ihrer lieben Pauline, und bewahren Sie mir Ihre Freundschaft.
Ganz
Ihr

JD Gries