Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Absichtlich, mein theurer Freund, habe ich die Beantwortung Ihres gedruckten Sendschreibens so lange verschoben, bis ich im Stande wäre, Ihnen, wenn nicht auch etwas Gedrucktes, doch wenigstens etwas Druckbares zu übersenden. Daß dies nicht eher geschehen konnte, werden Sie mit dem allgemeinen Drang der Zeiten freundlich entschuldigen. Zwar habe ich, auch in dem verflossenen , keinesweges die Hände in den Schooß gelegt, vielmehr habe ich in der neu unternommenen Arbeit meine einzige Erheiterung gesucht und gefunden; aber bis zur Druckbarkeit konnte ich erst jetzt gelangen.

Sie erhalten hiebei den ersten Aufzug eines Schauspiels von Calderon, dem ich einen Platz in dem nächsten Stück Ihrer Zeitschrift verschaffen mögte. Das ganze Schauspiel ist bereits übersetzt und außer diesem noch ein andres: Die große Zenobia; doch fehlt dem Uebrigen noch die letzte Hand. Ich bin gesonnen, mit dieser Arbeit fortzufahren, und so nach und nach eine Auswahl der besten Stücke des unvergleichlichen Dichters für unsre Sprache zu gewinnen. Schlegel sagte mir vor , in Coppet, er werde den Calderon nicht fortsetzen (die beiden später erschienenen Stücke hatte er damals schon übersetzt.) Ich bedaure dies um so mehr, da ich mich eines solchen Mitkämpfers wahrlich gefreut haben würde. Um so zweckmäßiger aber scheint es, daß nun Andre das Geschäfft übernehmen, den trefflichen Calderon unsern Landsleuten bekannter zu machen.

Das Leben ein Traum wird schon auf dem Weimarischen Theater mit großem Beifall aufgeführt: obwohl nach einer ziemlich unbeholfenen Uebersetzung (von Einsiedel), die den so charakteristischen Schmuck des Reims und der Assonanz, als eine überflüssige Zuthat, größtentheils verschmäht. Das Stück gehört aber auch gewiß zu den vortrefflichsten, die auf irgend einer Bühne in der Welt jemals gesehen worden sind; wie Sie schon aus der Anlage wahrnehmen werden. Kein Dichter hat die Wahrheit, welche der Titel ausspricht, jemals so anschaulich dargestellt.

Die Zenobia, deren Uebersetzung ich auf Goethe ’s Wunsch und Anregung unternahm, soll nun auch unter Leitung des erfahrenen Meisters, in Weimar einstudirt werden. Dieses Stück bietet für unsre Zeit ein ganz eigenes Interesse dar. Calderon hat nemlich, mit genialischem Uebermuth, von dem Historischen dieses Süjets gar keine Notiz genommen, sondern in dem Aurelian einen Charakter aufgestellt, der bis in die kleinsten Züge von dem großen Tyrannen unsrer Zeit abkopirt zu seyn scheint. Fast sollte man glauben, daß irgend eine prophetische Eingebung bei dieser Schilderung den Dichter begeistert habe; wenn nicht am Ende die Tyrannen aller Zeiten sich so ziemlich ähnlich sähen.

Es würde mir sehr angenehm seyn, mein bester Schelling, wenn Sie das beikommende Fragment recht bald zum Druck beförderten. Ich wünschte, mein Unternehmen dadurch bekannt zu machen, und mir nebenher einen Verleger zu verschaffen. Sollte nicht vielleicht Schrag, den man mir als einen billigen und wohlhabenden Mann gerühmt hat, den Verlag zu übernehmen geneigt seyn? – Und sollte man diese beyden Stücke nicht in München auf die Bühne bringen können?

Sie sind in Ihrem Wohnort von den Gräueln des Krieges ziemlich verschont geblieben und werden in Ihren häuslichen Freuden keine Störung empfunden haben. Mit wie herzlichem Antheil ich von Ihrem ehelichen und väterlichen Glück vernehme, brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Mögte es mir nur vergönnt seyn, Sie einmal in Ihren erfreulichen Umgebungen heimzusuchen. Aber die Reisegedanken muß man sich jetzt schon vergehen lassen. Ihrer lieben Pauline, wenn sie sich des alten Freundes noch erinnert, bringen Sie meinen herzlichsten Gruß.

Unser altes Jena hat zwar diesmal keine blutige Auftritte gesehen, aber von unendlichen Durchmärschen und Plackereien aller Art hinlängliche Noth empfunden. Noch größeres Unheil richtet das furchtbare Nervenfieber an; das seit fast einem Jahre die hiesige Gegend verheert und noch immer nicht weichen will. Doch ist Jena glücklich zu preisen, im Vergleich mit Sachsen, im Vergleich mit meiner bedauernswürdigen Vaterstadt, die recht zum Sündenbock für ganz Deutschland bestimmt zu seyn scheint. Die Nachrichten, die ich von dorther erhalte, sind von der traurigsten Art. Hamburg ist ohne Rettung verloren, auf Jahrhunderte zu Grunde gerichtet. Welche Aussicht in die Zukunft auch mir dadurch eröffnet wird, können Sie leicht denken.

Mögte denn wenigstens das übrige Deutschland sich einer ruhigen und glücklichen Existenz getrösten können! Aber wohin man seine Blicke wendet, wird man des Erfreulichen wenig gewahr, außer bei unsern siegreichen Heeren. Vor einiger Zeit sind uns zwei Flugschriften aus Baiern und Würtemberg zugekommen, die von dem Zustande dieser Länder auch eben kein erfreuliches Bild geben. Es ist zu fürchten, daß, nach dem äußern Frieden, der innere Unfriede um so verderblicher toben wird.

Sollten Sie, was ich doch nicht fürchte, von dem übersandten M[anu]scr[i]pt˖ den gewünschten Gebrauch nicht machen können, so bitte ich Sie, es mir baldigst zurückzusenden.

Leben Sie wohl, bester Schelling, und erfreuen Sie mich mit baldiger Antwort und mit guten Nachrichten von Ihnen und den Ihrigen.
Ihr

JD Gries