Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn MedicinalRath

Dr. Schelling

in

Stuttgart.

g[an]z frey

Liebster Bruder!

Es wäre eigentlich längst an mir gewesen, Dir zu schreiben, allein dieser melancholische, meiner Gesundheit eben nicht vortheilhafte Winter läßt mir außer den unausweilich zu meiner Arbeit nöthigen Stunden selten einen heitern Augenblick und macht mich so unaufgelegt, daß ich niemand gern, am wenigsten Dich, mit meinen betrübten Gedanken unterhalten mag.

Ich erkenne es als eine große Güte von Dir, daß Du die Knaben doch wieder über die Ferien eingeladen hast. Allein, da wir sie letzten gleich nur unter der Bedingung in St˖[uttgart] gelassen, daß sie um in N˖[ürtingen] bleiben, ich auch überdieß kürzlich ihnen meine Willensmeynung deßfalls wiederholt habe, kann ich unmöglich weder so indiscret gegen Dich und Deine liebe Frau seyn noch mir selbst gegen sie in der Art widersprechen, daß ich ihnen nun doch noch die Erlaubniß ertheilte. Laß’ es also für dießmal dabey bewenden, lieber Karl, da sie ja überdieß fast so eben erst bey Dir gewesen sind; willst Du aber auf die Güte haben, ihnen zu erlauben, daß sie zu Dir kommen, so werden wir es mit dem größten Dank erkennen. Auf die Erndtevacanz sollen sie, hoffen wir, mit dem Herrn R˖[ector] Planck hieher kommen, wenn anders die Frau bis dahin wiederhergestellt ist, welche die Frank’s und Hardegens in St˖[uttgart], wie es scheint mit Mercur zu Tode curiren. Planck hat kürzlich beyden Jungen wieder das beste Zeugniß gegeben, und wir preisen täglich Gott, sie so wohl versorgt und so gute Fortschritte machen zu sehen, da nun vollends unsre Schulen durch die letzte Verordnung, welche übrigens noch nicht die Gränzen des Königsreichs erreicht hatte, als sie in der Hauptstadt schon wieder in den Hauptpuncten, ihrer Unsinnigkeit wegen, zurückgenommen werden mußte, in völliger Auflösung begriffen sind.

Daß das liebe Wirtemberg von den Überschwemmungen so gräßlich heimgesucht worden, hat uns sehr geschmerzt, ob wir gleich darüber nur sehr unvollkommne Nachrichten hörten. Habe doch die Güte, in Deinem nächsten Brief – oder nach der Hoffnung, die Du uns machst Clärchen bemerken zu lassen, ob nicht irgend ein besondres Schriftchen erschienen ist, worinn alle Ereignisse dieser Überschwemmung erzählt sind; ich würde mir es dann kommen lassen.

Daß unser gutes Clärchen so brave Fortschritte im Lernen macht, freut uns herzlich; grüße und küsse das liebe Kind von uns auf’s Zärtlichste.

Bey dem letzten Schreiben an Dich hatte ich mir von Anfang bis fast zu Ende fest vorgenommen, den Gruß an unsre liebe Schwester ja nicht zu vergessen, da sie diese Unterlassung gerügt hatte – und dennoch, wie es oft geht, begegnete mir am Ende eben dieses Unangenehme, das mir nicht eher beyfiel, als es zu spät war die Sache gut zu machen. Grüße sie also recht herzlich von mir, und sag’ ihr, daß die Unterlassung weder sonst noch das letzte Mal absichtlich oder bös gemeynt war. Sie hat sich zwar kürzlich über meine Unfreundlichkeit sehr beklagt; ob ich aber gleich nicht einsehe, was in meinem Benehmen zu Stuttg˖[art] unfreundlich war, ist es doch viel besser, daß sie sich Luft gemacht hat, als wenn sie es mir nachgetragen hätte. Ich werde aber jede Gelegenheit ergreifen, ihr zu zeigen, daß ich ihr herzlich gut bin und wenigstens nie absichtlich ihr unfreundlich zu begegnen im Stande bin.

Leb’ recht wohl, lieber Bruder, empfiel uns auf’s Beste Deiner lieben Frau, welche die meinige bittet, das Geld nur gelegenheitlich an Herrn R˖[ector] Planck zu schicken. Laß mich Dich bald wieder von Dir hören und erfreue uns immer mit guten Nachrichten!
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.