Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

MedicinalRath Dr. Schelling

in

Stuttgardt

fr˖[ey] bishin.

Liebster Bruder!

Es thut mir recht leid, daß die Umstände Dir nicht erlaubt haben, Dich zu der Reise nach Straßburg zu entschließen. Auch sehe ich aus Deinem Brief, daß Du nicht ohne Beschwerde Dich einige Tage von Stuttgardt entfernen könntest; ich hätte diesen Vorschlag nicht gemacht, wenn nicht zwey Tage, die uns ganz gehörten, in der That mehr wären, als achte in Stuttgart, wo ich Dich fast bloß bey Tische sehe und mit fremden Menschen, z.B. den Boisserees , Dannecker u.s.w. meist mehr als mit Dir bin. Ich werde mich nun, um Dich wenigstens gleich zu sehen, so einrichten, daß ich mit Frau und Kindern (den Nürtingern nämlich) zu Dir über Mittag komme und wenn es Dir und Deiner lieben Frau nicht zuviel Unruhe macht auch über Nacht bleibe; den folgenden aber bedinge ich mir aus, gleich weiter, Heidelberg zu, zu reisen, von wo ich dann auf der Rückkehr nochmals bey Dir einsprechen werde; nur auf diese Art kann ich der Nothwendigkeit von Besuchen entgehen, davon einige (z.B. bey Cotta, Gries) ganz unvermeidlich sind und bey längerem Aufenthalt auch die übrigen unausbleiblich nach sich ziehen würden. Ich rechne hiebey auf Deine Einsicht und gütige Rücksicht, daß Du gegen diesen Plan keine weitern Einsprüche machst. Mit dem Hauptzweck, meiner Sehnsucht Genüge zu thun, Dich und die Kinder zu sehn, nöthigt mich meine geistige Oekonomie dießmal einen Nebenzweck zu verbinden, in der kürzesten Zeit soviel möglich verschiedenartige und mannichfaltige Gegenstände zu sehen, um mich von der einförmigen Anstrengung einer langwierigen Arbeit zu erhohlen. Du weißt, wie wohl ich mir immer bey Dir und in Deinem Hause habe seyn lassen, wo ich stets ebensowohl die freundlichste als die beste Aufnahme gefunden habe. Du kannst also selbst ermessen, wie gern ich Deine Einladung zu einem längern Aufenthalt auch dießmal annehmen würde. Aber jeder von uns hat seine Verhältnisse, und einer muß dem andern darinn etwas nachgeben und entgegenkommen. Es fehlt in dieser Welt überall soviel zur Vollkommenheit – und ach! es fehlt unsrer dießmaligen Zusammenkunft die Hauptglückseligkeit, an die ich früher nie ohne freudiges Herzpochen denken konnte, daß wir uns wohl über Nebensachen zufrieden geben müssen. Sey also zufrieden mit mir, lieber Karl, und nimm mich auch für kürzere Zeit ebenso freundlich bey Dir auf, als es für längere seyn würde! Den Tag habe ich zwar oben bestimmt; wenn aber das Wetter so regnerisch und kalt bleiben sollte, könnte es wohl gescheh’n, daß wir ein Paar Tage später kämen. Ich bitte daher Dich und die liebe Schwägerin inständigst, sich doch ja so wenig Ungelegenheit mit uns als möglich zu machen und keine Anstalten zum voraus zu treffen.

Leb’ inzwischen recht wohl und grüße Deine liebe Frau von uns auf’s zärtlichste. In freudiger Hoffnung nahen Wiedersehens
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.