Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Sr. Hochwohlgebohren

Herrn Director von Schelling

in

Erlangen

gantz frei.

Liebster Bruder!

Ich dancke Dir herzlichst für Dein so trostreiches Schreiben, mit welchem Du uns erfreut hast; es hat uns und allen den Unsrigen innigst wohlgethan. Der Schmertzen, ein so durchaus wohl geartetes scheinbar so glücklich gedeihendes Kind innerhalb weniger Stunden zu verlieren, war freilich fast nicht zu überwinden, und so sehr wir auch dagegen ankämpfen, so kommen eben doch noch oft Zeiten, in welchen der Kummer keiner beßern Empfindung Raum läßt, und wir bloß den Verlust, den wir erlitten haben, fühlen. Das Glück, das uns die Vorsehung mit diesem Kinde bescheert hat, war gar zu groß, um uns bald gantz über den mehr zeitlichen Schmertzen erheben zu können, doch dancke ich bei beßerer Faßung gewiß mit innigster Überzeugung Gott, daß er unserem Karl es erspart hat, diese bittere LebensSchule durchzumachen, und ihn so früh schon in eine beßere Welt versetzt hat, und daß er uns wenigstens die 1 1/2 Jahre, welche wir ihn besaßen, so unendlich viele Freude mit ihm gewährt hat. Diese Freude war auch wirklich oft schon vergeistigt und veredelt durch die oft so deutlichen Anzeigen eines zarten Gemüths, welche bei dem Kleinen sich kundgaben, und durch seine außerordentlich schnelle körperliche und geistige Entwicklung war auch schon weit eher ein Umgang und geistiger Verkehr mit ihm zu haben, als dieß sonst mit den meisten Kindern dieses Alters der Fall ist. Der Aufenthalt Deiner beiden Knaben in den ferien hat ihm noch viele Freude bereitet, indem er sehr gesellschaftlich in ihren Spielen und Freuden häufig theilnehmen konnte, was ihm gewiß nichts geschadet hat. Klärchen hat unmittelbar nach seinem Tode sich sehr gerührt gezeigt, und eine Stunde lang fast anhaltend fortgeweint, später aber und jezt scheint, wie bei einem Kinde von diesen Jahren nicht anders zu erwarten ist, die Zerstreuung und der jugendliche Sinn sie ihn nicht sehr vermißen zu laßen, was sie mitunter auch schon offenherzig eingestanden hat. Übrigens hat sie ihn noch gar nicht vergeßen, sie findet vielmehr Vergnügen daran, seine Künste und Manieren sich und uns oft ins Gedächtniß zurückzurufen, was uns oft eine wohlthätige Empfindung gewährt. Überhaupt gereicht sie uns Allen zur Freude und Ermunterung, und es würde doch gar zu öd und traurig bei uns aussehen, wenn wir auch sie nicht mehr um uns hätten.

Über den glücklichen Gang des Wochenbetts Deiner lieben Frau freuen wir uns innigst, und wünschten recht sehr, daß die neuen Mutterfreuden ihr volle Entschädigung für die seit mehreren Jahren erlittene Beschwerden gewähren mögen. Deiner freundlichen Einladung, nach Erlangen zu kommen, würden wir sehr gerne folgen, allein meine Verhältn[iße] gestatten gegenwärtig nicht wohl eine Abwesenheit von ### und uns beiden fehlt auch der Muth, von hier wegzugehen. Wir könnten auch meine SchwiegerEltern nicht wohl verlaßen, we[lche] aufs Tiefste gebeugt über den Verlust unsers Karls sind. Sie laßen sich Dir und Deiner lieben Frau auch bestens empfehlen, und Dir besonders auch für die Ihnen bezeugte Theilnahme dancken. Um so zuverläßiger hoffen wir Dich und Deine liebe Frau im Laufe dieses hier zu sehen, worauf auch die beiden Knaben sicher zählen, und sich sehr freuen.

Nun leb recht wohl und gesund, empfehle uns Deiner lieben Frau bestens und laße uns auch bald wieder etwas von Dir hören!
Dein
Tr˖[euer] Br˖[uder]

Karl