Herrn
Geheimen Hofrath
Dr. Eichstädt
Hochwohlg[ebohrn] in
Jena.
G[an]z Frey
München .
Es ist eine eigne Fatalität, daß unsre beyderseitigen Briefe so lange unterwegs zubringen. Ihren letzten vom habe ich wieder erst also in 8 statt in 5 Tagen erhalten. Inzwischen sind nun wohl meine beyden letzten Briefe in Ihren Händen, und ich erwarte mit Begierde den Erfolg.
Den besten Dank für Ihr schönes und geistvolles Programm, das die feurig übertreibenden Lobpreisungen des Italiäners, welche auch wohl hier und da in Deutschland erschallten, so einleuchtend auf das rechte Maß heruntersetzt. Mir macht es eine schmerzliche Empfindung, daß alle neuere Entdeckungen dieser Art sich fast einzig auf Schriftsteller von untergeordnetem Rang und aus später Zeit beschränken; das homerische Fragment ausgenommen, daß indeß durch seinen Werth eine einzige Scene einer verlorengegangnen Komödie nicht aufwiegen wird.
Eine besondere Freude machte mir, aus dem Programm selbst und aus dem was Sie dazu schreiben, die Hoffnung zu fassen, daß die eingetretene Mißstimmung in Ihren Verhältnissen bald völlig ausgeglichen sein wird. Es gehört mir zu den angenehmsten Gedanken, welche die Vorstellung meiner Rückkehr nach Jena begleiten, Sie dort in ungestörter, fortdaurender Wirksamkeit zu finden, und für meine Belehrung und fordaurende Erheiterung durch den Umgang mit den Musen durch Sie recht vieles zu gewinnen. Lobeck’s Schrift habe ich noch nicht erhalten.
Die Rec˖[ension] m[eine]r˖ samothr˖[acischen] Gottheiten in der Hall˖[eschen] L˖[iteratur] Z˖[eitung] habe ich, erst durch Sie aufmerksam gemacht, gelesen. Sie fragen wer wohl der V[er]f˖[asser] seyn möge? So viel ich sehe kein anderer, als der auch meine philos˖[ophischen] Abhandlungen in jenen Blättern recensirt – Herr Köppen in Landshut. Wenigstens ist sie der Unwissenheit dieses Menschen ganz angemessen, und was Ton und Verfahren betrifft jenen philos˖[ophischen] Recens˖[ionen] ganz analog, nämlich – von Anfang bis zu Ende eine fortlaufende Verdrehung ja Verfälschung. Z.B. »Der Vf. wundre sich höchlich, daß noch niemand vor ihm im Namen Axiokersa den Namen Kersa entdeckt habe« – ich sage Ceres; oder »die Beweise werden aus Kirchenvätern geführt -; weil ich die sonst nirgends erhaltenen Fragmente des Varro aus Augustinus und Arnobius anführe u.s.f. Ich habe bisher stets unter meiner Würde gehalten auf die philos˖[ophischen] Rec˖[ensionen] eines so faden Schwäzers zu antworten. Jedermann wußte ohngefähr, daß diese sämmtliche Recens˖[ionen] Parteischriften waren. Aber welcher ehrliche Mann im Publicum kann vermuthen, daß diese Unwissenheit sich auch über jene Abh˖[andlung] hergemacht und gegenüber einer Arbeit, deren geringstes Verdienst ist, aus den Quellen gearbeitet zu seyn, ohne alle eigene oder andre, als aus der Abh˖[andlung] selbst geschürfte, Kenntniß, einen solchen schulmeisternden herabsetzenden Ton anzunehmen sich erfrechen könne? Was rathen Sie mir zu tun? Und wie? in welcher Form? Denn es scheint mir, daß ich über diese stets sich wiederholende Bubenstücke der Haller Zeitung doch bey dieser Gelegenheit, wo sich alles gelehrt-anschaulich darthun läßt, nicht schweigen sollte. Ihr Vorschlag, dem Prof. Vater in Königsberg die Rec˖[ension] meiner Abh˖[andlung] zu übertragen, leuchtet mir vollkommen ein. Ich schätze ihn als orientalischen Sprachkenner sehr hoch und erinnre mich seiner aus dem ersten Jahr meines Jenaischen Aufenthalts als eines guten und wohldenkenden Mannes.
Meine letzte Erklärung über die Jena’schen Anträge mußte ich in einem Gedräng von Arbeiten niederschreiben, veranlaßt durch die vom Bai˖[rischen] Kronprinzen aufgestellten architectonischen Preisaufgaben, für welche der Beurtheilungstermin eben in jenen Tagen ablief. Ich weiß daher nicht einmal, ob ich mich über alles deutlich genug ausgedrückt. Sie, Verehrtester Freund, werden alles in’s Gleiche zu bringen und die Annäherung zu bewirken wissen. Es ist noch immer mein fester Vorsatz, wenn es mir einigermaßen möglich gemacht wird, nach Jena zu kommen. Ist es an dem, daß das Appellations-Gericht des Großherzogthums dahin verlegt werden soll? Dadurch würden manche Verhältnisse der Akademie, auch die öconomischen, einige Veränderung erleiden. Als Basis für die Unterhandlung wegen des Gehalts hätte ich noch bemerken können, daß ich mein hiesiges Einkommen (NB. ohne das, was ich für die Ablehnung des Rufs erhalten könnte) auf 3400 fl. rhein. mit allen Emolumenten (z.B. Wohnungs-Entschädigung Gratificationen u.a.) berechnen kann. Wegen der theol˖[ogischen] Professur liegt mir eben nicht daran, daß sie gleich ausgesprochen wird; eine Zusage für den Fall und auf den Zeitpunct da ich sie wünschen möchte, könnte mir auch genügen, wenn man das vorzöge; vielleicht sogar angenehmer seyn, weil es mir für die ersten Jahre mehr Freyheit ließe. Ihrer so vielfach bewährten Freundschaft und Klugheit sey alles überlassen. Ich bitte Sie nur, den Hauptgesichtspunct festzuhalten. Denn gleich wie ich meinerseits überzeugt bin, daß ich schwerlich eine mir so zusagende Universität außer Jena finden könnte, so meyne ich hinwiederum – sehr zufällig allerdings aber denn doch – für Jena eben jetzt grade der rechte Mann zu seyn.
Leben Sie recht wohl und erhalten Sie mir Zutrauen und Freundschaft.
Ganz
der Ihrige
Schelling