Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Sr. Hochwohlgebohren

Herrn

Director von Schelling

in

Erlangen


Hochwohlgebohrner Herr Director!

Die Gelegenheit des Einschlusses benüzend, bin ich so frey, Ihnen einiges über Tübingen und meine dermaligen Verhältnisse daselbst zu schreiben; welches zu thun ich mir schon längst die Freiheit genommen hätte, wäre ich es Umstände halber im Stande gewesen. Bald nach meiner Ankunft in Wirtemberg benüzte ich meine von Erlangen erhaltenen Empfehlungen, nebst meine sonstigen Freunden, einen Hospitum Tisch oder irgend eine Erleichterung für die Realisirung meines Studienplans zu erhalten; Kielmeyer bemühte sich sehr, andere schienen, als thun sie ein gleiches; alles war umsonst; Pabst Süskind sagte mir ziemlich derb, das Studium der Chemie und Physik seye kein Facultätsstudium, deswegen ich auch nicht immatrikulirt werden könne, und an nichts weniger als an die Erlangung eines Freitisches zu denken habe. An diesem erfreulichen Resultate brüteten die Herren in Stuttgardt nur 5 oder 6 Monate.

Ich werde nun wohl nicht lange mehr in Tübingen verweilen; doch bin ich noch nicht ganz schlüssig, ob ich nicht noch künftiges Semester hier bleibe; indem ich erwarte, dass in demselben mehreres gelesen werden soll, was für mich von Interesse wäre, und was ich gerne benüzen möchte. In meinem Plane liegt es: auf einige Zeit das freundliche Erlangen in mehrfacher Beziehung zu benüzen; mir scheint es auch dort etwas wohlfeiler, als hier zu seyn.

Dieses Halbjahr sind hier die Vorlesungen für mein Fach sehr ärmlich; Physik wird gar nicht gelesen, Mineralogie, Geologie und dergl[eichen] ebenfalls nicht; und Gmelin liest nur den unorganischen Theil der Chemie, dessen Vortrag aber hauptsächlich nur für Anfänger berechnet ist, was mir oft ziemlich lästig wird. Gmelin nimmt unter den jezigen deutschen Chemikern nicht die geringste Stelle ein; er hat den dermaligen Stand der Wissenschaft aufgefasst, zeichnet sich vortheilhaft im Felde der Analyse aus, und hat sich durch seine Reisen und Aufenthalt bey den besten Chemikern unserer Zeit einen Schaz von Erfahrungen gesammelt; allein er scheint mir so ganz in der niedern Erscheinungswelt zu leben, ohne dieselbe an höhere Gesichtspunkte anzuknüpfen, und philosophischer Geist mangelt seinem Vortrage gänzlich; auch kann ich ihn in manchem von Windbeutelley nicht freisprechen; und raisonniren über andere Chemiker ist eine seiner üblen Eigenschaften. Kielmeyer obgleich nicht mit der Zeit fortschreitend steht in mancher Beziehung unendlich über ihm.

Bei Eschenmayer höre ich Psychologie, welche er nach seinem bekannten Handbuche liest. Die von Ihrer Güte mir mitgetheilte Empfehlungskarte, verschaffte mir freundschaftlichen Zutritt; ich besuche ihn ungefähr alle 8 Tage; Christenthum und Philosophie auch thierischer Magnetismus sind gewöhnlich Gegenstände unserer Unterhaltung. Als Mensch schäze ich ihn sehr, er verdient es in der That; aber als Philosoph scheint er in seinen Formen begraben zu seyn; wer aber suchen will, findet manches Goldkorn bei ihm. Sigwart schien mir beim Hospitiren gar nicht, troken und ungeschmakt wie Haberstroh kam er mir vor; Genialität mangelt ihm gänzlich. Seine Capacität für das, was bereits im Reiche der Philosophie ist; und die Mittheilung desselben scheint sein einziges Verdienst zu seyn; übrigens steht er bei innländischen Studenten in grösserem Ansehen, als Eschenmayer. Haugs Vorlesungen über Universalgeschichte höre ich mit Nuzen und Vergnügen; er liest überhaupt mit ungetheiltem Beifall. Anatomie höre ich bei Bauer, welcher sie ziemlich los zu haben scheint.

Ob Tübingen gleich für manches Fach nicht der schlechteste Ort ist, so glaube ich doch, dass derjenige, welcher sich gründlich in den Naturwissenschaften ausbilden will, auf hiesiger Universität seinen Zwek unmöglich erreichen kann. Bibliothek und sonstige Hilfsmittel fehlen beynahe ganz. Erstere wird ungeheuer vernachlässigt; chemische und physikalische Werke neuerer Zeit sucht man vergeblich; die neue philosophische Litteratur ist so arm, dass kein Bändchen von Kant, Fichte, Schelling, Jacobi und dergl˖[eichen] sich vorfindet.

Die Errichtung des h˖[iesigen] Museums ist etwas herrliches für den Studenten; es gewährt alles, was man nur wünschen kann; Erholung, Beförderung der wissenschaftlichen Ausbildung (indem für alle Fächer die interessantesten Schriften gehalten werden, deren Benüzung jedem ordentlichen Mitgliede frei steht;) Vergnügen u.s.w. auch ist es ein schöner Einigungspunkt für Lehrer und Zuhörer; welcher den besondern Nuzen haben möchte; die hier herrschende Steifigkeit etwas zu mildern. Bereits zählt dieses Insitut über 500 Studenten als Mitglieder, deren jedes f 8 jährlichen Beitrag bezahlt. Ein ehm˖[aliger] Berlinerstudent, der seit 1 Jahr hier und ein Freund von mir ist; räth mir nach Berlin mit ihm zu gehen, indem die Anstalten daselbst für Naturwissenschaften ganz excellent seyen; auch seye es dort ebenso wohlfeil zu leben, als hier, wenn man sich aufs nothwendigste beschränke. Vielleicht ist es Ihnen möglich, mir etwas näheres darüber zu sagen; ich fühle wenig Lust dazu.

Wenn Sie die Güte hätten, mich Herrn Prof. Schuberts und Pfaffs recht sehr zu empfehlen, so würde ich Ihnen äusserst verbunden seyn. Herzlich verlangt mich, die lieben Erlanger wieder zu sehen, und zu genießen.

Hochachtungsvoll
empfiehlt sich Ihnen
Ihr
ergebenster D.

C.F. Schönbein

Vielleicht interessirt Sie noch die ....... dass die Stelle Pfleiderers ein ........., und die des verstorbenen Flatts, entweder ........ oder Pf[arre]r˖ Boxner erhalten wird.