München den .
Liebste Mutter!
Der Proceß wegen des Stillens hat sich von selbst entschieden. Der Kleine, nachdem er ein einzigesmal tüchtig gezogen und auch etwas getrunken, war durchaus nicht wieder an die Brust zu bringen, so daß man für die Mutter sorgen und auf Vertreibung der Milch denken mußte. Ob er nun dabey vielleicht mehr Verstand bewiesen als wir, die ihn durch Hunger und Durst dazu zwingen wollten, steht dahin.
Pauline hat die letzten Tage wie natürlich vom Milchfieber gelitten, und ist durch die magere Diät, die sie halten mußte, und die starken Ausleerungen etwas entkräftet; doch ging alles ohne bedenkliche Zufälle vorüber, und ihre Schwäche wird durch kräftigere Nahrung bald gehoben seyn. Überhaupt befindet sie sich heute am 6. Tag im bestmöglichen Zustand; alles bis jetzt ging, Gott sey Dank! so gut, als wir kaum hoffen durften, das Stillen ausgenommen. Der Kleine hat schon die Gelbsucht überstanden; sein Betragen widerspricht seinem Aussehen nicht, d.h. es ist recht vernünftig; sobald ihm nur wohl ist und weder Hunger noch Durst ihn plagt ist er stille. Doch thut es mir weh, ihn mit Brey und Gerstenwasser zu füttern; auch sehe ich wohl daß trotz der vielen weiblichen Personen keine rechte Ordnung in seine Behandlung kommt, wenn nicht eine eigne Person da ist, die bloß für seine Wartung bestimmt ist. Meine Mutter muß ihn wenigstens die Nacht über aus ihren Armen lassen, und die gute Köhler steht um ebendiese Zeit Paulinen bey. Ich suche daher jetzt nach einer Amme für das Kind zu bekommen, und habe überall hin aufs Land darum geschrieben. Gelingt es, eine gute zu bekommen, so wird der Kleine trefflich gedeihen, da er so kerngesund und vollkommen ist, auch eine große Gemüthsruhe zu haben scheint.
Pauline, wie Sie sich leicht denken können ist überglücklich wegen des herrlichen Kindes. Ich erinnere mich wirklich nicht, ein Kind in den ersten Tagen so kräftig gesehen zu haben. Die Hebamme schätzt es auf 10 Pfund. Dieß ist aber das Wenigste; am meisten freut Paulinen und mich sein vernünftiges Aussehen. Er hat schon viel Physiognomie: der Ausdruck des kleinen Gesichts verräth ungemein viel Innerlichkeit; dadurch zieht er alle Menschen an, ohnerachtet ich manche Kinder gesehen habe, die schönere Augen hatten und mehr Anlage hübsch zu werden. Pauline sagt, es sey ein Juwel von Kind; und der Vater kann ihr nicht widersprechen.
Nun, liebste Mutter, erlauben Sie mir noch eine Bitte vorzubringen, die Sie gewiß gern gewähren, daß Sie dem Kind nicht bloß Großmutter seyn, sondern ihm auch Pathe werden. Ihrer Liebe, Ihrem Gebet brauche ich zwar ein Kind Ihrer geliebten Pauline durch keinen besonderen Beweggrund zu empfehlen; doch ist es uns tröstlich, unser Kleinod auch in diesem Verhältniß zu Ihnen zu wissen. Haben Sie zugleich die Güte, die anliegende Gevatterbriefe an die Addressen abzugeben.
Ich muß für heute schließen –, unter den herzlichsten Begrüßungen von uns allen an Sie alle. Seyn Sie ganz beruhigt, liebste Mutter, ich glaube Ihnen versprechen zu dürfen, daß wenn Gott will und die gute Wöchnerin sich gehörig hütet, das Wochenbett unserer lieben Pauline so fast beyspiellos glücklich vorübergehn wird als die Schwangerschaft. Um Ihnen einen Maßstab ihres Wohlbefindens zu geben, so denken Sie nur, daß sie trotz der Schmerzen und des vielen Säfte-Verlustes gleichwohl noch immer gesünder, blühender und stärker aussieht, als da ich sie hieherführte.
Leben Sie recht wohl. Gott erhalte Sie!
Ihr Treugeh˖[orsamster] Sohn
S.
N.S.
Der Kleine bekommt die Namen, Paul Heinrich Joseph. Paul wird er gerufen. Heinrich heißt er nach meinem älteren Onkel und nach Fischer. Joseph ist der Name seines verewigten Großvaters und als Schellingischer Familien-Namen. Die Taufe wahrscheinlich den .