Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Geehrtester Herr von Schelling

Auf dem an Sie am abgeschikten Versuch meiner Reisebeschreibung ist mir nicht das geringste zugekommen, so sehr ich auch wünschte wieder einmal einige Zeilen von Ihnen zu erhalten, und zu hören, wie Sie diesen kindischen Versuch aufgenohmen, welchen fortzusetzen ich mich nicht geeignet fühlte; Ich wollte Sie jedoch dafür mit etwas anderem schadlos halten, und ergriff die Gelegenheit über diesen merkwürdigen Fund der Eginetischen Werke (welcher in jeder Hinsicht von äuserster Wichtigkeit sein muß, und zu vielen sowohl wissenschaftlichen als antiquarischen Berichtigungen die Thüre öffnen wird) Ihnen sowohl eine detaillirte Beschreibung dieses ganzen Fundes im Allgemeinen zu liefern, als auch über den Stil, Eigenthümlichkeiten, Kunstepoche, Vorstellung, Aufstellung und Bemerkung derselben meine hierüber gemachten Bemerkungen, und darauf gegründeten Meinung an den Tag zu legen. Als Schlus dieser ganzen Abhandlung gedachte ich noch eine allgemeine Übersicht der ältern Kunst, und des sogenannten Egyptischen Altgriechischen und Hetrurischen Stils mit beyzufügen, und deren Verwandschaften und Ineinandergreifen theils historisch, theils aus den vorhandenen Kunstwerken selbst zu erweisen und zu erläutern. – Ich weiß zwar, daß es keine geringe Aufgabe sey, und daß man leicht dahin verleitet wird, in seinen LieblingsIdeen zu weit zu gehn. Unterdessen schmeichle ich mir jedoch, da ich vieles im Felde der Kunst gesehen, namentlich der ältern, und besonders in bezug auf diese Eginetischen Werke durch den täglichen Umgang so zimlich mit denselben vertraut geworden bin, und Gelegenheit hatte, Bemerkungen zu machen, die nur durch vielfältige Anschauung und Untersuchungen konnten erworben werden, daß ich vielleicht ehr als mancher andere befugt sein könnte etwas hierüber bekannt zu machen. – In dieser Absicht schrieb ich diese Zeilen zusammen, um sie Ihnen zu freundschaftlicher Untersuchung und Entscheidung vorzulegen, ob sie verdiene durch den Druk öffentlich bekannt gemacht zu werden, und Sie in diesem Falle um ihren Beistand und Correktion zu bitten. Da ich aber nicht wußte, ob S˖[eine] K˖[önigliche] Hoheit solches gerne sehen, und AllerhöchstDieselben zu gleicher Zeit mir auftrugen eine ausführliche Beschreibung dieser Figuren einzusenden, so schikte ich das bereits geschriebene an S[ein]e˖ Königliche Hoheit mit der beygefügten Bitte: solche Schrift nachher Ihnen mitzutheilen, um ihr Urtheil darüber zu hören, und im Falle solche es verdiene mit der Zeit bekannt zu machen. Da ich hierauf keine bestimmte Antwort von S[eine]r˖ Königlichen Hoheit erhielt, und ich daher vermuthete, daß Allerhöchstdieselben es vielleicht aus gewissen Gründen nicht gerne sehen, daß vorderhand etwas öffentlich darüber bekannt werde, so ließ ich das ganze liegen. Sollten Sie nun wirklich meinen, daß es gut sey diese Zeilen bekannt zu machen, so werde bey Uberschikung der Fortsezung, S˖[eine] K[önigliche] Hoheit auf eine etwas bestimmtere Weise darum ersuchen. – Einige Sachen wären sodan noch abzuändern, besonders ist die Angabe der vorhandenen und nicht vorhandene Theile der Figuren nicht ganz richtig, da sich zu einigen noch mehreres dazu gefunden, bey andern hingegen sich gefunden hat, daß manches was man dazu zu gehören glaubte, wie es zur Ergänzung kam, nicht mehr passen wollte. Auch ist mir sehr erwünscht, daß Sie mir über die Ihnen anstösigen Punkte Ihren Zweifel sagen. Zum Beyspiel was den Einwurf betrifft, den Sie mir in Hinsicht der Einförmigkeit dieser Köpfe und meiner darüber gefasten Meinung machen, und der von Ihnen dagegen aufgestellten modificirten Meinung, finde ich zwar solche im allgemeinen vollkommen wahr, doch scheint sie mir mit der Sculptur selbst einigermasen in Wiederspruch zu stehen, und wie mir scheint, sind wir beyde einwenig zu weit gegangen, ich im Conventionellen und Sie in der Unzulänglichkeit des Künstlers. Zwischen diesen beyden Punkten mag vielleicht das wahre liegen.

Eine abermalige vielleicht etwas bestimmtere Erklärung und Auseinandersetzung dieses Punktes mag vielleicht nicht überflüsig sein, und kann dazu dienen den wahren Punkt um so richtiger zu treffen. – Ich sagte nemlich in meiner Schrift, daß diese Köpfe sich insgesamt gleichen, daß heist hauptsächlich in Hinsicht ihrer einzelnen Theile als Mund Nase und Augen etz. die Sieger wie die Besiegten, die Männlichen, wie die Weiblichen, selbst die Minerva als Göttinn nicht ausgenohmen. Daß alle sich gleichen wie ein Ey dem Andern, darf man freilich nicht so material und wörtlich nehmen, als wenn alle Köpfe wie aus einer Form gegossen wären. Es herrscht eine Verschiedenheit des Geschlechts und des Alters, und sie gleichen blos wie Brüder und Schwestern untereinander sich gleichen. Es ist dieselbe Fisionomie nach dem Geschlecht und Alter modificirt. – Ich finde überhaupt es sehr schwer, Jemanden durch eine blose Beschreibung einen richtigen Begrif von einer Sache beybringen zu wollen, der solche nie gesehen hat: Ein richtiger Begriff wird blos durchs Anschauen erlangt, wie mir scheint. Um Ihnen daher ein anschaulicheren Begriff von dieser Art Altgriechischer Gesichter zu geben, so bitte ich Sie, die Altgriechischen Münzen zu betrachten, und namentlich den Kopf der Minerva auf den ältern Münzen von Athen , so haben Sie jenes Conventionelle Gesicht, welches der damaligen Kunst eigen war. Dieß sagte ich zur Berichtigung des Begriffs des Gegenstandes, wovon es es sich hier handelte.

Nun finde ich für nöthig, hier noch folgende Erinnerung mit beyzufügen: Nemlich, diese also gestalteten Gesichter sind ihrer Einförmigkeit ungeachtet mit gleicher Kunst und Liebe bearbeitet, als wie die übrigen Theile des Körpers, so daß man deutlich sieht, daß der Künstler, welcher im Stande war, die übrigen Theile des Körpers also Wahr, und der Natur gemäß, vorzustellen, auch ganz gewiß im Stande müste gewesen sein, einen besseren, ich sage, weniger Conventionellen Kopf oder Gesicht zu machen. Denn es ist unmöglich zu glauben, daß ein Künstler in allen Theilen des Korpers vortrefflich oder wahr sey, nur in einem, und zwar dem wesentlichsten Theile nicht. Aus diesem Grunde behaupte ich, daß die Ursache dieser Inconsequenz nicht in der Unwissenheit des Künstlers, oder Unzulänglichkeit der Kunst selbst, zu suchen sey, und daß vielleicht andere Gründe den Künstler bewogen haben mochten, mit der Ausbildung der Gesichtstheile langsamer vorzuschreiten, als es mit den übrigen geschehen. Hier entsteht nun die kritische Frage, was kann den die GrundUrsache dieser künstlerischen Inconsequenz sein? – Ich gebe gerne zu daß ich mich in meiner aufgestellten Meinung geirrt habe, und wünsche sehr eines Bessern belehrt zu werden. – Ihre Meinung gefellt mir sehr wohl, nur inkliniert sie zu sehr dahin, diese Inconsequenz auf Kosten der Unzulänglichkeit der damaligen Kunst zu schreiben, und desswegen kann ich ihr nicht vollig betretten und zwar aus oben angeführten Ursachen. – Meine erste Meinung die ich hievon hatte, war der Ihrigen so zimlich gleich: »Ich war nemlich der Meinung, daß die Verfertigung dieser Statuen grad in jene Epoche der Kunst falle, wo man anfing, sich von der ersten, von den Egyptiern angenommenen steifen Form (welchen man, wie ich glaube, den ältesten griechischen Stil nannte) loß zu machen, um zu lebendigern Formen überzugehen, daß man dieses in Bezug auf die übrigen Theile des Körpers so zimlich erreicht, bey dem Kopfe aber entweder aus Scheu, oder sonst einer andern mir unbekannten Ursache oder Beweggrund sich nicht getrauten, oder es wagten, solche in gleichem Maase abzuändern. – Es liese sich zwar noch ein anderer Einwurf machen, nemlich daß vielleicht der Bildner diese Körper blos den älteren Stil imitiren wollte, und aus diesem Grunde, die Köpfe, Haare, Gewänder, in welchen sich das Conventionelle jenes ältern Stils am deutlichsten aussprach, vorzüglich beybehalten hätte. – Allein alles ist mit einer solchen Naivität, Sorgfalt, Eigenthümlichkeit, Unschuld gemacht, daß ich unmöglich glauben kann, dieses sey ein Werk der Nachahmung. Lieber Herr von Schelling nun habe ich Ihnen alles aufgetischt, was sich nur pro und contra in dieser Sache sagen läst. Ihrem scharfen Blike wird es nun bald klarer werden, und ich freue mich schon in einem andern Brief von Ihnen das Resultat zu finden. Ihre Ansicht gefellt mir ganz, und ich war anfänglich ganz derselben Meinung, nur wollte mir die Inconsequenz der Kunst nicht in den Kopf, und dieses veranlaste mich, zu vermuthen, daß der Künstler irgend einen besondern Grund haben muste, in der Veredlung dieser Conventionellen Gesichtsform behutsamer und langsamer zu Werke zu gehen. Schreiben Sie ja bald ihre Meinung hierüber, mit welcher ich zugleich der Lösung dieses Räthsels entgegen sehe. Auch bitte ich Sie in Hinsicht des Versuch zu einer Reisebeschreibung, Ihre Meinung mir mitzutheilen. Ich hatte sie, wie ich glaube zu weitschichtig angefangen, und dadurch wuste ich nicht, wie ich mich kürzer fassen sollte, ohne daß das ganze sich in einen Nichts auflöse.

Ich arbeite an meinem grosen Bilde dem Orpheus, allein es geht äuserst langsam, ich habe in den Geschäften oder Comissionen S˖[einer] K[öniglichen] Hoheit so viele Zeit verlohren daß ich es Ihnen nicht klagen mag. Daß ich in Malta war, wird Ihnen bekannt sein; Auf meiner Rükreise ging es böse, ich dachte erstlich dran, wie Jonas in einen Wallfischbauch zu fahren. Doch auch diesesmal behauptete der Galgen sein recht, und mich noch zu manchen Abentheuern aufbewahrt. – Sie laden mich ein, nach München zu kommen, und ich lade Sie ein nach Rom zu kommen, was viel vernünftiger wäre. Mir ist es schlechterdings unmöglich nun Rom zu verlassen, wenn ich auch wollte, aus Ursache der Eginetischen Figuren, deren Ergänzung ich ganz unter meiner Obsorge und Leitung habe. Nächstens ein mehreres Fritz Gärtner empfiehlt sich Ihnen auf das allerbeste, in der nächsten Woche wird er seine Reise nach Neapel antretten.

Wie immer. Ihr ganz ergebenster.

Giovani. Furioso.