Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Sr. Wohlgebohrn

Herrn Professor Welcker

in

Göttingen

frey nur bis Eisenach vergütet

Es war gleich nach Erscheinung der Recension des Wagner’schen Berichts in den Gött˖[ingischen] gel˖[ehrten] Anz˖[eigen] meine Absicht gewesen, Ew. Wohlgebohrn für die billige Beurtheilung zu danken, welche Sie meinen Zusätzen zu demselben zu theil werden ließen. Aber meine Zeit wird von so verschiednen Seiten in Anspruch genommen und das vielfach bewegte Leben der hiesigen Stadt wirkt so zerstreuend ein, daß auch die einfachsten Vorsätze oft nicht zur Ausführung kommen. Inzwischen kommt Ihre Gefälligkeit meinem Danke mit Übersendung eines eignen Exemplars jener Rec˖[ension] und eines neuen Heftes Ihrer Zeitschrift zuvor. Bemerken will ich im Vorbeygeh’n, daß das Paket, welches Ihrem Schreiben zufolge am von Göttingen abging, erst vor wenig Tagen in meine Hände gekommen ist.

Es mußte mich natürlich nicht wenig freuen, in Ansehung des Alters der aeginäischen Statuen meine Meynung gegen den schnellen Schluß auf Onatas, den sich Herr Hirt erlaubt, und den allerdings schwachen, von den Reichthümern nach dem Persischen Krieg hergenommenen Grund von einem Mann Ihrer Art in Schutz genommen zu sehen. Wenn wir von der Kleinheit der Bilder auf die Dimensionen des Tempels schließen, so scheint die Verschwendung an denselben die Kräfte nicht überstiegen zu haben, welche wir den Aegineten eine gute Zeit vorher zutrauen dürfen; immer muß dieß Tempelchen gegen den Parthenon eine sehr bescheidne Figur gemacht haben. Über den besondern Sinn, welcher von Pausanias und nach ihm von den Griechen mit äginäischen Werken verbunden worden, muß ich eine weitere Untersuchung, besonders in Bezug auf die Stelle des Hesychius vorbehalten, wenn man anders hierüber ad majorem certitudinis gradum (im Böckh’schen Latein zu reden) gelangen kann. Vor jetzt halten mich die Stellen über Onatas ab, jenen Ausdruck auf die allerältesten Werke zu beschränken. So wahrscheinlich indeß, als Hirt’s Erklärung, ließe sich, meines Erachtens, sogar dieses machen, daß jenes Unterscheidende sich bloß auf die Dimensionen bezogen, da ich Spuren nachweisen wollte, daß die aegin˖[äische] Kunst sich bis auf die späteren Zeiten unter Naturgröße zu halten gewohnt gewesen. Nicht eher, als die besprochenen Werke hieher kommen, werde ich zu diesen Untersuchungen zurückkehren; ganz aufgeben kann ich die (vielleicht zu weit getriebne) Meynung noch nicht, weil ich von manchen andern Seiten, selbst durch Urtheile von Künstlern, darinn bestärkt werde. Doch die Anschauung ist die Hauptsache, wie mich neuerdings die Abgüsse von den Figuren des Parthenon belehrt; was ich immer glaubte, mir davon vorstellen zu können, scheint es mir, allgemein behaupten zu können, es sey unmöglich, sich von dieser Verbindung des Großartigen mit der reinsten Naturerfahrung ohne eignen Anblick einen Begriff zu machen. – Auch Ihr Urtheil über Hirt’s Deutung der Figuren wird von Rom aus mehr und mehr bestätigt, Wagner, auf den ich hierinn großes Vertrauen setze, spricht von derselben als einer völlig unmöglichen.

Wie wir hier durch Anträge, die unsrem Prof. Thiersch für Göttingen gesch[eh]en, in Erfahrung bringen, werden Ew. Hochwohlgeb[ohrn] nach Bonn gehen. Ich wünsche dieser neuen Universität Glück zu solchen Erwerbungen, durch die sie allein die bis jetzt erregten Erwartungen und Hoffnungen erfüllen kann.

Empfangen Sie nochmals meinen herzlichen Dank für die Beweise wahrhaft freundschaftlicher Gesinnung, die Sie mir fortwährend geben. Ich bitte sie, ganz von dem Werth überzeugt zu seyn, den ich auf dieselbe setze, und auch in den neuen Verhältnissen mich in wohlwollendem Andenken zu behalten.
Mit wahrester Hochachtung
Ew. Wohlgebohrn
Ganz ergebenster

Schelling.