Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Hochgeehrtester Herr und Freund!

Ich benutze den Auftrag der (zufällig etwas verspäteten) Uebersendung der neuesten Kunstschrift meines Bruders, um bey dieser Gelegenheit eine alte Schuld abzutragen. – Das lange Versäumniß, in Hinsicht dessen ich auf Ihre gütige Nachsicht rechne, rührte zum Theil mit daher, daß ich nicht gern mit leerer Hand vor Ihnen erscheinen wollte. Vorzüglich hätte ich gewünscht, der Königlichen KunstAkademie meine Dankbarkeit für die so ehrenvolle Auszeichnung der Aufnahme unter ihre auswärtigen Mitglieder durch die That und mit Ueberreichung irgend eines Beytrages zur erweiterten Kunstkentniß oder Kunstbeurtheilung beweisen zu können. Indessen ist mir in meinem hiesigen Verhältniß bis jetzt die freye ungestörte Muße, um angefangene Arbeiten vollenden zu können, nur sehr sparsam zugemeßen gewesen. Jetzt haben wir nun einen Ruhepunkt von einigen Monathen vor uns, wo ich wohl hoffe, einiges von dem versäumten nachzuhohlen, und vielleicht auch einen mit meinen früheren Arbeiten in Verbindung stehenden Kunstversuch überreichen zu können. Bis dahin bitte ich Sie, den verehrten Mitgliedern der Akademie, vorzüglich auch dem Herrn Director Langer und Herrn Langer jun˖[ior] mich zu empfehlen und ihnen den Ausdruck meiner Dankbarkeit zu erneuern, die um so aufrichtiger ist, da ich einen ganz vorzüglichen Werth darauf lege, mich einem Kunstverein beyzählen zu dürfen, der wie die Königliche Akademie mit so viel Würde und umfassender Einsicht in die Beförderung und Wiederbelebung der wahren Kunst auch für unsre Zeit so praktisch eingreift und als ein Vorbild thätig ist; ein Verdienst, an welchem Ihre eigne Mitwirkung gewiß einen sehr wesentlichen Antheil hat. Von unsern jungen Künstlern in Rom höre ich manches lobenswerthe, besonders auch von Overbeck. Die Unterhandlungen über die Boissere’sche Sammlung sind immer noch nicht entschieden.

Für Ihre Schrift »über die samothracischen Gottheiten« – sage ich Ihnen den lebhaftesten Dank. Ich habe sie mit dem größten Interesse gelesen und theile in vielen Punkten Ihre Ueberzeugung. Ich freue mich, daß Sie diesen alten hebräisch-phönicischen Weg der Sprach- und Alterthumskunde betreten und wieder erneuert haben. Zusammengenommen mit der reichen indischen Ausbeute der letzten Jahre und der Fülle von neuen Aufschlüßen und neuen Räthseln, die das große Aegyptische Werk gewährt, wird er zum Leitfaden dienen, um trotz dem Cherub mit dem flammenden Schwerdt, an das Ziel zu nahen. – Wann dürfen wir dann Ihr Werk über die Weltalter erwarten? – Von einem Reisenden, wenn er anders Gelegenheit genug hatte sich davon zu überzeugen, vernahm ich neulich, daß Sie auch den Vaterlands- und Staats- Entwicklungen und Geburthswehen jetziger Zeit Ihre Aufmerksamkeit und Theilnahme widmen. Wenn dem so ist, so würde ich es als einen besondern Beweis Ihres Vertrauens ansehen, wenn Sie mir etwas darüber mittheilen wollten. – Bis hoffe ich Ihnen eine kleine Schrift von mir über diese Gegenstände übersenden zu können.

Mein Bruder ist noch fortwährend in Paris, wo die Frau von Staël krank, und zwar wie die letzten Nachrichten lauten, sehr krank ist.

Sehen Sie Fr˖[anz] Baader oder den Baron Freyberg; so bitte ich Sie mich dem freundschaftlichen Andenken beider zu empfehlen. Des gleichen bitte ich um die Fortdauer des Ihrigen und bin hochachtungsvoll
Ihr ergebenster Diener und Freund

Friedr. Schlegel.