Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Ich trage nun, innig Verehrter, Lieber! den herzlichen Wunsch an Dich zu schreiben seit länger als mit mir herum, konnte aber noch nicht zu seiner Erfüllung kommen. Denn es sieht eben noch immer bei und in uns so aus, wie bei schiffbrüchigen Leuten, die mit ihren hin und hergestreuten Habseeligkeiten an einer Küste daliegen, von welcher sie noch nicht recht wissen zu wechem Lande sie gehöre und von welchem Volke sie bewohnt sey? Sehnen wir uns doch oft, auch nur den Rauch aufsteigen zu sehen von unsrem lieben Erlangen, und nur nach einem einzigen Worte von euch. Indeß es ist auch etwas Gutes um die Trennung von lieben, theuren Freunden, man lernt dabei recht daß etwas Ewiges in der Liebe sey.

Ueber meiner Thüre und an meiner Stirne sollte jezt, seitdem ich da bin, immer geschrieben stehen: wir bringen unsre Jahre zu wie ein Geschwätz. Denn es ist Geschwätz von Besuchenden und Besuchten, Geschäftsleuten und Geschäftslosen, von früh an bis zum Abend; Geschwätz, bei welchem es oft gar nicht rein abgeht, so daß ich immer nur zu sagen habe: »Lehre mich klüger werden!

Die Reise hieher war für meinen Arm und alle meine Glieder und Sinnen eine rechte Ausruhezeit. In unsrem Logis wurde es uns beiden gleich recht wohl und heimlich; es ist aber auch wirklich hübsch und bequem darinnen. Ringseis und seine Frau waren in Einsiedeln, wir blieben daher den ersten Nachmittag allein und das war gut. Am Abend kam aber zuerst ein sehr unvermutheter Besuch: der gutmüthige Schönberg aus Neapel mit seiner Frau, bei deren (erst kürzlich getroffener) Wahl, wie wir dies hier zu unsrem großen Bedauern hörten, er sich sehr geirrt hat. Sie ist eine gebohrene Schäffer aus Würzburg und stund dort in sehr üblem Rufe. – Später kam auch Ringseis noch.

Am anderen Tage gieng denn gleich das Gedränge und Getreibe an und eine Schaar von Sorgen flog nun aus und ein. »Was zuerst meine Vorlesungen beträfe, sagte mir ein jüngerer College, so würde ich sie wohl kaum für diesen zu Stande bringen. Die Studenten hätten bis vor acht Tagen auf mich gewartet, da habe sich das Gerücht verbreitet ich würde nun gar nicht kommen, sondern in Erlangen bleiben und nun seyen Alle, welche für diesen Sommer Naturgeschichte hören wollen, bei Oken, an der Zahl 260 (doch war diese Zahl um 100 zu hoch angegeben). Oken habe die einzige noch nicht mit andren Hauptvorlesungen collidirende Stunde gewählt, die von mir angesezte Stunde sey durch die Geschichte und andre sehr nöthige medicinische Collegien ganz besezt« Ich blieb dennoch bei meiner einmal angezeigten Vorlesung und Stunde, mich gefaßt machend auf einen Sommer voller (unerwünschter) Ferien. Aber es haben sich, besonders nach der ersten und zweiten Vorlesung so viele Leute bei mir unterzeichnet, und so noch täglich fort, daß ich bis diesem Augenblick über viereinhalbhundert Zuhörer habe(*)(*) Vorgestern, da ich den Brief an ### schrieb, waren nur noch 300., die mir freilich in dem engen, nach Süden, dabei drei Treppen hoch gelegenen Hörsaal, in der Nachmittagsstunde von drei bis vier manchen Tropfen Schweiß kosten. Indeß dulte ich dies gern. Allgemeine Naturgeschichte ist einmal der mir von Gott und Menschen gegebene Beruf; es hätte mich niedergeschlagen, wenn ich da neben dem ehrenwerthen Oken wäre gewogen und gar zu leicht gefunden worden.

Eine andre Schaar von Sorgen flog mir, wie aufgescheuchte Motten und Speckkäfer, und selbst in Gestalt von diesen aus dem hiesigen Cabinet entgegen. – In Erlangen steht nun Alles so hübsch da; hier hätte ich wohl wünschen mögen der alte Rinderfreund Augias, deßen Geist da lange herrschend gewesen, hätte einige hundert Tagelöhner vor mir hergehen laßen, die mir, wie dem Kaiser Franz am grünen Donnerstag die Scene des Fußwaschens, das Geschäft des Reinigens ein wenig minder eckelhaft und leichter gemacht. Denn ich war eben noch im Regen und stehe nun unter der Traufe. Der wirklich bedauernswürdige Spix, den man jezt im Grabe doch allzu ungerecht mit Füßen tritt, hat mit einem durchaus bösen Willen seiner Untergebenen zu kämpfen gehabt; diese haben, wie mir scheint absichtlich, Vieles verdorben oder doch verderben laßen – man schämt sich fast diese Sachen jemand zu zeigen. Die Schränke u.a. sind mit einem unverantwortlichen Leichtsinn gefertigt, Staub und Insektenschwärme können da aus und ein. Man schreibt es zwar dem hiesigen weichen Holze zu, das allzu reich an Splint, sich leicht und stark zusammenziehe, aber warum nahm man denn nicht hartes Holz? – Und dennoch, neue Schränke gleich zu schaffen ist unmöglich. An einen Katalog ist auch gar nicht zu denken; niemand wußte was da war, Vieles fehlt, von welchem die Sage geht es sey einst dagewesen, fast nirgends sind Nahmen noch Nummern bei den Thieren, wo welche waren, da hat sie nach Spixens Tode in revolutionärem Eifer D. Wagler weggerissen. So bringe ich denn schon jezt einen großen Theil meiner Zeit auf dem Cabinet zu, stehe oft Stunden lang da, und weiß nicht wo? noch wie ich anfangen solle?

Ein drittes Sorgenheer kam in Gestalt leeren Geldbeutel auf uns beide zu. Es sind da sogleich Hoffnungen gegeben, Versprechungen gemacht worden, aber? – –

Die Leute die ich bis jezt gesehen und gesprochen – im Gedräng das so bunt durcheinander geht wie jenes am Hafen zu Marseille – machen uns oft noch glauben wir seyen blos auf der Reise. Herr von Schenck ist überaus gütig und freundlich gegen mich gewesen; ich habe ihn schon mehrmalen, er auch mich besucht. Die Kersdorfische Familie, besonders aber Er, der alte Herr, gefällt mir sehr wohl, er hat mich schon mit Freundlichkeiten aller Art überhäuft und beschämt, auch lernte ich vorigen beim Mittagsmahl seine interessante Bibliothek von Weinen kennen und benutzen. – Cornelius scheint sich recht von Herzen auf Dich zu freuen und brav dabei. Der alte Röschlaub ist ordentlich zärtlich gegen mich; Fuchs gefällt mir sehr wohl, auch Stahl. Oken ist noch ganz der Alte, ehrlich, aber ungeschickt; selbst in manchem seiner Vorträge, in so fern etwas dabei begriffen und gelernt werden soll. Sein System das er in der in der Naturgeschichte giebt, kommt mir vor wie mein Handbuch der Mineralogie, worinnen statt der verständlichen Worte Zeichen gesezt sind, die zwar kein Andrer versteht, ich selber aber auch nicht. Und wollte sich einer in dieses mein Calenderzeichen-Handbuch hineinstudiren; so würde er zwar daraus endlich eine Beschreibung der Steine ablesen lernen, könnte aber in der halben Zeit die Steine selber kennen und beschreiben lernen. Jedoch, wenn ich hier als Schelmufsky reden darf, »der Alles so artlich erzählt das flugs Alles an ihm lacht« so pflegt er, »mein Herr Bruder Graf, gerade nicht »zu stockren und zu mockren, wenn er von seinen 30 Pumpelmeisen erzählt, die er einst alle auf einmal in Einem Sprenckel gefangen, sondern er hat einen trefflich feinen Vortrag und ist in jeder Hinsicht für mich ein höchst ehrenwerther, nicht blos Neben- sondern Flügelmann, bei dem ich viel lernen kann. Seine Vorträge über Physiologie werden recht gerühmt. – Ganz besonders gefielen mir auch, und (was etwas verdächtig ist) selbst meiner Frau, einige geistliche Herren, die wir hier kennen lernten. Zum großen Theil Freunde des ehrwürdigen Sailer, gutmüthige Gesichter, denen man gerade keine Hungersnoth ansieht: dicke Backen, große Mäuler. Dr. Moll kann gar so herzlich lachen, der junge Allioli hat mir auch so beim ersten Sehen und Sprechen recht wohl gefallen. Bei Baader war ich auch einmal, mit dem unterwegens zu mir gestoßenen, alten Hofrath Döllinger. Dieser hat, neben mir sitzend, während Baader etwas gar zu lange uns vorlas, die seufzende Creatur vorgestellt: bald sehr unverholen gegähnt, bald geseufzt, etliche Male aus langer Weile gelacht, wo nicht zu lachen war, hierbei nicht mehr verstanden, als die Schnecke vom Kindtaufsläuten. Mit Ringseis komme ich oft, fast täglich, zusammen. Anfangs kam er mir etwas fremd und anders als sonst vor, jezt nicht mehr. Er bewahrt in seinem milden und liebevollen Herzen noch manchen herrlichen Nachklang aus Geßners, Lindels und ### Zeiten treu und fest.

Eine zarte Neigung zum Wirthshausgehen ist hier auf einmal in mir und meiner Alten wieder aufgewacht. Wir sind fast täglich in Lettingers Garten an der Isar und schon versammelt sich fast »das ganze Volk« um uns. Da meine ersten Vorlesungen hier so gut gegangen, wie meinem oben erwähnten Vorbild (Schelmufsky) die seinige, außer in dem großen Gasthof am Speersort zu Hamburg, war ich so froh, daß ich jedes Mal nichts anzufangen wußte, mit der übrigen Nachmittagszeit. Ueberdies sehe ich auch gar gern die Alpen an, die man an keinem öffentlichen Orte so schön sieht als bei Lettinger, und – aufrichtig – das Bier ist dort auch recht gut.

Ist man ja noch auf der Reise! – Gott halte seine Hand über uns, damit der Weg recht gerade zur Heimath gehe, und wo wir straucheln erinnre Er uns und helfe wieder auf.

Nun es liegt hier viel Kies, grober Kies auf dem Wege, meine armen Füße werden ihn nicht klein und glatt treten, sondern manchmal müde werden und gleiten. Gott helfe!

Wie ich mich, wie wir uns freuen, auf Dich und die theuren Deinigen! – Ja, Gott weiß, es ist in einem sonst seichten, leeren Herzen eine Liebe da, gegen einen theuren Mann und Freund und Bruder, daß sie wohl auch das ganze Mein an das Dein wagen und darangeben möchte.

Der Führer, welcher bald mild-schattende Wolke, bald leuchtende, wärmende Feuersonne gewesen, führe Dich und Deine hochtheure Begleiterin und die lieben Kinder auf milden Wegen vollends zu uns her und Sein Angesicht möge Dich und sie, segnen und behüten. Mit einer Liebe die sich gern den Nahmen »ewig« wünscht und versichert
Dein dankbar Treuer

G.F. Schubert