Seiner Hochwohlgebohren
Herrn Director von Schelling
zu
(gegen Postschein)
Nürnberg am .
An meinen theuren, verehrten Lehrer schreibe ichs denn zulezt, daß mich Gott von meinem lieben Nürnberg wegführt. Mein Lehrer! ich müßte noch vor mir selber erröthen, daß ich’s Ihnen so spät schreibe, wenn mir mein Herz nicht bezeugen könnte, daß es mein Wille war Sie schon im , noch ehe hier am Orte jemand etwas von der Sache wußte, um Ihren Rath zu fragen. Aber schon damals führte mich Gott in eine harte Schule. Mein Entschluß, jenem Rufe zu folgen, wurde mir so sauer gemacht, daß die Sache rein zwischen mir und Gott ausgemacht seyn sollte; und Ihnen zu schreiben hielt mich dann auch später, da nun Alles entschieden war, der Gedanke ab, daß ich Ihnen einen recht langen und guten Brief schreiben müße, wenn ich einmal schreiben wolle; daß ich Ihnen, über das mir übersendete Buch, wofür ich Ihnen von Herzen danke, Vieles schreiben, und es also erst noch einmal studiren müßte; und zu dem Allem hatte ich zu viele lastende Arbeiten, darunter auch eine recht liebe, auf mir liegen. Ich schreibe nun doch, mag auch der Brief kurz seyn und nicht gut; mag ich Ihnen über Ihr Buch einstweilen auch nur sagen können; daß mich’s herzlich erfreut und mich selber wieder zum Studium der ebräischen Sprache erweckt hat.
Mein Lehrer und Freund! Ihnen erzähle ich Alles treu wie es kam. Mein hiesiges Ammt, so gerne ich auch in Nürnberg war, drückte mich oft recht sehr. Ich fühlte daß ich nicht unter solchen Verhältnißen Rector seyn könnte und möchte, wie ichs hier doch seyn sollte. Ich hatte zu nichts von dem was ich that eine rechte Freudigkeit. Die Anstalt (woran indeß wohl meist die halben Masregeln der Regierung Schuld waren) zerfiel mir unter den Händen; mir that es wehe, wenn ich auch nichts dafür konnte. Endlich kam im das Gerücht der nahen Aufhebung des Instituts, und daß wir sollten (vielleicht mit 1/2 Gehalt) pensionirt werden. Nach Würzburg hatte ich doch immer keinen rechten Sinn. Wagner, der dort Alleinherrscher, soll so streitsüchtig und sogar hämisch gegen alle seine Collegen seyn! An seiner Seite getraute ich mich nicht als Lehrer mit sonderlichem Erfolg zu arbeiten, denn ich habe keinen Waffen gegen ihn. Ich bat Gott er möge mir nur einen Posten zuweisen, dem ich ganz gewachsen sey, da ich das Meine mit Freudigkeit thun könne; und sey er auch noch so klein und unscheinbar. Da kam aus Mecklenburg die erste Anfrage an mich; in der Art; daß man nicht geradezu sagte: man wolle mich zum Erzieher der Prinzeßin Marie haben, aber mir es doch ganz nahe legte. Ich schlug die beiden tüchtigsten Männer vor, die mir eben zu jenem Amte einfielen. Zugleich sagte ich, ich wolle Ihnen noch einen Dritten nennen. Die herzliche, dankbare Verehrung, die ich von Jugend auf gegen das erlauchte Fürstenhauß Weimar, und besonders gegen die Frau Erbgrosherzogin von Mecklenburg (die eben an mich schreiben ließ) gehegt hätte, machte mich selber geneigt jene Stelle anzunehmen. (Ich stünde mich hier auf 1200 fl, u.s.w.)
Kaum war jener Brief fort; so bemerkte ich (an diesem schweren Kreuz habe ich dann auch diesen ganzen zu tragen gehabt) daß meine gute, anspruchslose Frau eine unbeschreibliche Abneigung gegen die Sache zeigte. Sie härmte sich ab, wurde fast krank; ich wünschte es möchte doch nun lieber gar nichts aus der Sache werden. Aber es kam nach vier Wochen wieder ein Brief; man berief mich als Erzieher der jungen Familie des Erbgrosherzogs, und gab mir zugleich Einfluß auf das gesammte Schul- und Erziehungswesen in Mecklenburg. Ich wußte nicht was ich thun sollte, meine Frau dauerte mich, obgleich sich wohl ihr Kummer zum großen Theil auf Vorurtheile gründete. Endlich kam ihr auf einmal, gerade da ich schreiben sollte und mußte, die nöthige Fassung: sie ließ mich selbst dem Rufe folgen.
Ich thats denn wohl; aber nach Abgang des Briefes versank sie wieder in ihren ersten Gram. Nun gab man mir, Mecklenburgerseits, durch Nichterfüllung einer meiner, so viel ich verstehe wohl recht bescheidnen Hauptbedingungen, noch einmal Gelegenheit, die ganze Sache auf die Spitze zu stellen. Das that ich dann auch. Ich zeigte den Brief etlichen Freunden, die sagten mir es würde nun wohl aus seyn, man würde jezt gewiß von mir absehen. Ich hatte in jenem Briefe noch 2 Männer, die mir seitdem eingefallen waren, zu dem Posten vorgeschlagen.
Da ich nun schon gewiß glaubte, es sey Alles aus, bekome ich auf einmal einen Brief vom Erbgrosherzog, durch eine Stafette. Der gute Engel der mich erst hingezogen, die Erbgrosherzogin, war gestorben, hatte aber noch es ihrem Gemahl dringend ans Herz gelegt, mich einzuberufen. Was wollte ich nun thun. Ich folgte dem Wunsche des sterbenden Engels, und der guten Stimme in meinem Herzen in Gottes Nahmen. Mir geschähe nun auch auf diesem schweren Wege, was Gott will.
Mein Freund! was soll ich nun bei meinem Abschied aus Baiern zu Ihnen sagen? Ich habe Ihnen nicht, gar nicht zeigen können, wie sehr ichs Ihnen danke, daß Sie mich hieher führten in meine wahre Vaterstadt. Gott segne Ihnen das! Er führe auch Sie bald in das Land Ihrer großen umfaßenden irdischen Bestimmung.
Mein Lehrer! auch ich kann sagen: Siehe ich hatte nichts als diesen Stecken da ich hieher kam
, und nun bin ich ein Herr worden. Ja, ein Herr bin ich worden, Gottes Liebe und Kraft ist mit mir und wird mich wohl nicht wieder verlaßen. Als ein eitler, armer, selbstsüchtiger Mensch kam ich hieher, ich kannte nicht mich selber, nicht Gott. Mir war’s gar nicht wohl auf der Welt, denn es fehlte mir doch immer der innre Frieden. Gott Lob! ich weiß nun wo der zu finden ist, mein Herz hat ihn selber erfahren, meine Seele hat ihn selber umfaßet.
Ich gehe nun fern von Ihnen, und weiß nicht ob meine Augen Ihre lieben Augen noch einmal sehen. Gott aber, der uns beide liebt, weiß daß ich Sie herzlich lieb habe; so sehr ein warmes Menschenherz den Bruder lieben kann. Ich vergeße es Ihnen nie, mein Lehrer! was Sie an mir thaten; wenn ichs auch einmal früher, in dem Traum der Eitelkeit, auf kurze Zeit vergeßen konnte. Mein Lehrer! so wie die armen Freunde immer erkenntlicher und dankbarer sind als die reichen; so ist auch Ihr geringster, Ihr unbedeutender Schüler, der Sie vielleicht schon sonst öfters nur mit dem Herzen verstand, doch wohl auch der, der Sie so sehr als nur einen denkbar lieb hat und lieb behalten wird. Mein Bruder! die Stunde der Trübsaal geht bald vorüber! Gebe Gott daß wir dann beide, Sie mit ihrem größeren, ich mit meinem kleineren Pfunde, recht gewuchert haben, uns nicht, sondern Ihm, dem Herrn. Lehren Sie fort dem Herrn mit starken Armen auch in Ihrem großen Gebiet den Weg zu bahnen. Gott sey mit Ihnen mein Theurer! Ja, wenn der Geringere den Höheren, der Schwächere den Starken doch auch segnen darf mit gutem Wunsche: Gott segne Sie, mein größerer lieber Bruder! Er eröfne Ihnen immer mehr die Eine, die rechte Erkenntniß, gebe Ihnen starke flammende Liebe zu Gott und Menschen in Ihr starkes, treues Heldenherz: Liebe die mächtiger sey als Spott und Verfolgung, Tod und Hölle. Er erhalte und segne auch den treuen, lieben Engel zu Ihrer Seite und Ihr liebes Kind. Er grüße und küße Sie Alle mit dem Gruße seiner Liebe, seiner Gnade, seines Friedens!
Denken Sie mein Theurer! an Ihren armen Freund, der nun wohl einen gefahrvollen Weg geht. Ein Brief von Ihnen würde mich bei meinem Eintritt in Ludwigslust als ein liebes Geschenk freuen. In verlaße ich mein liebes Nürnberg, bleibe dann in Sachsen (auch Jena) 3 Wochen und komme so Gott will, nach Ludwigslust.
Wer ist denn Vormund für meine kleine Pflegetochter, Adeline Ritter? Steht das was sie bisher jährlich als Pension empfangen in guten Händen, und wird sie es ferner erhalten? Es soll einmal zu ihrer Ausstattung gehören. –
Mag uns Gott beide führen wie er will: ich bin und bleibe nun wohl bis ans Grab und, da auch meine Menschenliebe, die auf Gottes Liebe ruht wohl nicht stirbt mit dem Herzen – noch weiter
Ihr dankbarer, armer Schüler
und Freund
G.H. Schubert.