Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Mein Hochverehrtester theurer Freund

Ich glaube, ich schrieb Ihnen zuletzt im mit Uebersendung meiner Pflanzenanatomie, als ich im Begrif stand, einen neuen Feldzug zu beginnen, der mir, da er mich in eine große practische Thätigkeit brachte, und mich eine mir bis dahin unbekannte Seite der ärztlichen Kunst kennen lehrte, unendlichen Genuß verschaft hat. – Jetzt bietet sich mir eine so freundliche Gelegenheit vor Ihnen mit einigen Worten meine unendliche Ergebenheit bezeugen zu können, daß ich nach so langem Stillschweigen mit Freude die Feder ergreife, in der Hofnung, daß Sie, mein theurer Lehrer und Freund, mir einige Zeilen antworten werden.

Ich hatte in den letzten 2 Jahren immer den Plan genährt, das südliche Deutschland, und dann auch Sie besuchen zu kommen, aber die Ereigniße des menschlichen Lebens, die sich eines an das andere kettend, den Menschen verstricken, und unwillkührlich führen, haben mich diesen Plan noch nicht ausführen laßen, so daß mir immer nur das Medium der Schrift übrig bleibt, um meine äußerliche Verbindung mit Ihnen zu unterhalten.

So gebe ich Ihnen denn nach gewohnter Weise, wieder einen längeren Abriß meines Treibens und Willens. habe ich die wissenschaftliche Medicin wieder ernstlicher vorgenommen, und der erste Band meines Systemes ist im Drucke, und ich hoffe, ihn Ihnen zu senden zu können. – Ich habe dabei öfter Ihrer gedenken müßen, als mir, möchte ich sagen, lieb war, denn ich habe nur zu oft bedauern müßen, wie mit dem Stillschweigen der Besseren in der Medicin seit den letzten Jahren, und seit Reils Absterben die reinen Practici wieder ihr Haupt erheben, und sogar die Hufelande und Consorten sich wieder geltend machen können. – Ich fühle und weiß sehr gut, daß Same das Bessere auch in der Stille treibt, und daß es unverkennbar ist, wie in mancher Beziehung eine wissenschaftlichere Ansicht immer mehr Wurzel faßt, aber von der strengen Wissenschaftlichkeit sind wir doch in der Medicin noch zu weit entfernt, um die letzten Jahre in dieser Hinsicht erfreulich nennen zu können. Wie sehr ich daher wünsche, daß auch Sie Sich zuweilen in diesem Felde wieder vernehmen ließen, begegnet mir zu oft, als daß ich es hier unterdrücken könnte.

Eine andere Arbeit eigenthümlicher Art ist die Herausgabe eines Archivs für den thierischen Magnetismus, welche ich mit Eschenmayer und Nasse seit begonnen habe. – Ueber meine Verbindung mit Eschenmayer werden Sie sich billig wundern, und ich thue es selbst schon, da ich die Folgen der einen Discrepanz der wissenschaftlichen Ansichten zwischen Eschenmayer und mir allmählig mehr einsehe, aber das Geschäft selbst gewährt mir vielen Genuß, indem es mich in eine geheimnißvolle Welt einführt, in welcher man so leicht keinen Mangel an Stoff zur tiefen Betrachtung verspürt, und in welcher so vieles noch so rein und unbefleckt verborgen liegt, daß man nur unbefangen zu Werke zu gehen braucht, um in das mystische Geheimniß eingeweiht zu werden. – Einstweilen habe ich noch wenig gethan, als Thatsachen zu sammeln, und an dieselben einzelne Untersuchungen anzuknüpfen, die erst mit der Zeit reifen können. Aber das Ganze greift so unendlich tief in die menschliche Natur ein, es bietet selbst in geschichtlicher Beziehung so wichtige Gegenstände der Untersuchung dar, daß ich mir nur erst wieder mehr Muße von zeitraubenden Collegien wünsche, um einzelne Ansichten schöpferisch reden zu können. – Daß hier Differenzen mit meinen Mitherausgebern nicht zu vermeiden sind, ist natürlich: Ich denke indessen, Sie mögen neben einander stehen, wie überall im Leben das Widersprechendste sich paaren muß, da am Ende das Wahre doch wahr bleiben wird.

Leben Sie wohl. – Von mir persönlich kann ich Ihnen nichts melden, da ich seit mehreren Jahren nur wissenschaftlichen Genuß kenne. Vielleicht wirds einst besser. – Ihrem ferneren freundschaftlichen Andenken empfehle ich mich mit treuer Anhänglichkeit und Verehrung
Ihr

Dr. DG Kieser