Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Mein theuerster Freund

Ich habe so lange nichts von Ihnen gesehen, dass ich fast Ihrer Erinnerung zweifeln möchte, wenn ich nicht zuweilen von den hiesigen und gothaischen Freundinen Ihrer Frau Gemalin zuweilen erfreuliche Nachrichten von Ihrem Wohlbefinden von Ihrem häuslichen Glücke, wozu ich Ihnen theilnehmend## Glück wünsche, erhalten hätte.

Ich schreibe Ihnen heute, um sie in einer literar˖[ischen] Anlegenheit um Ihren freunschaftlichen Rath zu bitten.

Aus den öffentlichen Blättern wird Ihnen bekannt sein, dass seit einem halben Jahr meine holländische Preisschrift über die Anatomie und Physiologie der Pflanzen zu Harlem erschienen ist. Um mir das deutsche Manuscript zu erhalten, habe ich das Original französisch geschrieben, und es ist mir jetzt in mehrerer Hinsicht daran gelegen, die deutsche Ausgabe bald in den Druk zu geben.

Es hat mir leid gethan, dass ich, da die Preisschrift der Teylerschen Gesellschaft gehört, ausser Stand gewesen bin, Ihnen oder der bayerischen Academie ein Exemplar derselben zu übersenden. Es ist bisher so wenig in der Pflanzenanatomie geschehen, und selbst Moldenhawers neueste Schrift hat die vorhandene Verwirrung nur noch vermehrt, dass es mir eine der belohnendste Geschäfte gewesen ist, diese Schrift auszuarbeiten, und die Bildungsformen der Elementarorgane der Pflanzen auf bestimmte Gesetze zurückzuführen. In der beinahe vollendeten deutschen Bearbeitung, welche als eine zweite Ausgabe der französischen Schrift betrachtet werden muss, bin ich zu noch bestimmteren Resultaten gekommen, das Eigenthümliche der Mono- und Dicotyledonen ist hier auch in anatomischen ### nachgewiesen; die nothwendige Urform der Pflanzenzellen, was manche andere, bisher kaum berührte Puncte sind zur Sprache gebracht, wird zum Theil gelöset werden, so sehr es mir unlieb seyn würde, die Herausgabe derselben verzögert zu sehen.

Nun sind aber die Verhältnisse des deutschen Buchhandels und der deutschen Literatur noch so unsicher, dass es mir nicht möglich ist, für ein wissenschaftliches Werk, welches vermöge seines speciellen Gegenstandes nur ein beschränktes Publicum findet, und dessen Herausgabe eine Auslage von 900–1000 rh. fordert, einen Verleger zu finden, und ich selbst bin ausser Stande, auf eigne Kosten das Werk herauszugeben, so wie der angegebenen Verhältnisse wegen auch der Weg der Subscription eben so unsicher ist. Das französische Original enthält 46 Bogen von 22 Kupfertafeln in Quart. Die deutsche Ausgabe (da sie mit allen meinen Arbeiten seit vermehrt ist) mochte leicht 60 Bogen mit 30 Kupfertafeln betragen, welche letzteren, wenn das deutsche Werk dem Französischen nicht nachstehen soll, von demselben vortreflichen Künstler von Amsterdam, welcher die Platten der franz˖[ösischen] Ausgabe gestochen, gearbeitet werden möchten.

Es ist mir nun gerathen worden, diese deutsche Ausgabe der bayerschen Academie der Wissenschaften anzubieten, ob sie sie als ein Geschenk annehme, und auf ihre Kosten herausgeben wollte, da ich gerne auf allen pecuniairen Vortheil verzichte, wenn meine Arbeiten nur auf andre Weise sich belohnen.

Ich weiß nicht, an welches Mitglied der Academie ich mich deshalb zu wenden habe, daher ich Sie, mein hochverehrter Freund, wohl ersuchen darf, hierüber bei der Academie vorläufig anzufragen, und mir davon Nachricht zu ertheilen. Allenfalls kann ich Ihnen auch vorher mein Handexemplar des franz˖[ösischen] Werkes zur Einsicht ubersenden.

Von meinen persönlichen Verhaltnissen habe ich Ihnen noch nichts gesagt. Im zog ich in der weimarischen Schaar der Freiwilligen mit zu Felde, wo ich in dieser herrlichen Zeit das Leben in seiner edelsten Gestalt kennen lernte, so sehr mir jetzt die Zeit des Feldzuges kaum mehr als Wirklichkeit; nur als ein schöner Jugendtraum erscheint. Ich war mit Steffens und Raumer 4 Wochen in Paris, wo wir uns in den Hass gegen dies Volk ersättigten; dann 14 Tage in Holland, und bin seit anfangs wieder hier, wo manche harte Schicksale mich betrafen die mich an alles Besseres würden haben verzweifeln lassen, wenn nicht jener Feldzug mich das Höhere des Lebens kennen gelernt hätte.

Unsre Academie hat sich vegetativ erhalten, und wir erwarten jetzt den Ausgang des Congresses, ob dieser uns vielleicht etwas bringt, was auch unserm wissenschaftlichen Leben einen neuen Schwung giebt.

Leben Sie wohl. Es wird mich sehr erfreuen, wenn ich mich Ihres ferneren Wohl durch sie selbst Nachricht erhalte.
Ihr

Dr DG Kieser