Hochwohlgeborner
Hochverehrter Herr,
Die wohlwollende Aufnahme, deren Ew. Hochwohlgeboren die Zusendung meiner Schrift über Homer gewürdigt haben, ermuthigt mich, mit einer Bitte mich gegenwärtig an Sie zu wenden, von der ich jedoch aufs Höchste wünsche, daß Sie auf keine Weise eine Zudringlichkeit darin erblicken mögen. Es war bisher meine Absicht, die angefangene akademische Laufbahn in Leipzig so lange fortzusetzen, bis mir das Schicksal einen entschiedenen Beruf anweisen würde. Seit Kurzem aber habe ich von der hier allgemein unter Lehrenden und Lernenden herrschenden, meiner geistigen Richtung durchaus ungünstigen Strömung so überzeugende Beweise erhalten, daß mir alle Hoffnung auf einen Erfolg verschwunden ist, die jeder angehende Gelehrte zu seiner Aufmunterung wünschen muß, und die mir auch meine äußern Verhältniße, wenn auch nicht unumgänglich nothwendig, doch in hohem Grade wünschenswerth machen. Ein Gesuch um eine außerordentliche Professur, zu der ich mir durch mehrjährige akademische Vorlesungen der hiesigen gesetzlichen Ordnung zufolge ein Recht erworben hatte, ward auf einen Bericht der philosophischen Facultät, welcher mit ausdrücklicher Beziehung auf meine Schrift über Homer mir »Aftergenialität und trauriges Versinken in eine von der Facultät nicht gebilligte Philosophie« vorwarf, von der Regierung einstweilen zurückgewiesen: und nahmhafte, gerade unter der Klasse der Studierenden, bei der ich noch am leichtesten einiges Interesse zu finden hoffen konnte, in größtem Ansehen stehende Lehrer, nehmen keinen Anstand, mich geradezu für verrückt zu erklären. Es ist daher mein Wunsch, baldmöglichst anderswo auf eine Weise auftreten zu können, die mir mehr Erfolg verspricht. Noch aber habe ich keine bestimmte Wahl hinsichtlich des Ortes getroffen, und auch in Ansehung der zu lehrenden Gegenstände würde ich, da sich meine bisherigen Studien über einen ziemlich weiten Kreis der philosophischen, philologischen und historischen Wissenschaften erstreckten, den Umständen und Verhältnißen einigen Einfluß einräumen. Sollten Sie es vielleicht für gut, und mich dieser Gewogenheit für würdig halten, über diese Wahl meines künftigen Aufenthaltsortes und meiner äußeren Thätigkeitssphäre mir gelegentlich einen Wink zukommen zu lassen, so würden Sie mich dadurch zu der lebhaftesten Dankbarkeit verpflichten. Da ich indessen weiß, wie vielen Schwierigkeiten oft eine Antwort auf dergleichen Anfragen unterliegt, und ich auf keine Weise Ihnen unbescheiden und andringlich erscheinen möchte, so ersuche ich Sie inständigst, dieses Schreiben keineswegs als eine Aufforderung zu einer bestimmten Erklärung über die angezogenen Punkte, oder zu einer Ihnen irgendwie beschwerlichen Rücksicht auf meine Wünsche und Interessen zu betrachten, sondern nur in dem Fall, daß Sie zufällig Gelegenheit finden sollten, mir einen meine künftige Laufbahn fördernden Rathschlag zu ertheilen, durch einige Worte, sei es auch durch die dritte Hand, mich gütigst darüber zu benachrichtigen.
Mit der wiederholten Bitte um Verzeihung meines Sie vielleicht belästigenden Schreibens, und mit der Versicherung meiner unveränderlichen Verehrung
Ew. Hochwohlgeboren
ergebenster
C.H. Weiße.
Leipzig am .