Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Verehrtester Herr und Freund!

Schon öfter habe ich durch gemeinsame Bekannte gehört, daß Sie meiner noch in Liebe gedenken. Es hat mich gefreut, daß ich auf diese Weise dem Manne, dem ich als Lehrer durch Verehrung und Dankbarkeit verbunden bin, auch persönlich anzugehören mir bewußt sein darf. Ich bitte Sie von ganzem Herzen, diese mir so theuere Gesinnung mir zu erhalten. Es ist wohl ein festes Band, welches die Geister durch gleichen Zweck, gleiche Ansicht, gleichen Glauben, zu einer unsichtbaren Kirche vereinigt, aber erst wo die Neigung die Gemüther verbindet, ist Leben und freudiges Wachsthum.

Die nächste Veranlassung meines Schreibens ist diese. Es haben sich einige Männer, unter denen ich Ihnen unsere Freunde Thomas und Passavant nenne, vereinigt, eine Zeitschrift herauszugeben, welche das politische Leben unserer Zeit zum Gegenstande haben soll. Gegenwärtig, wo überall die Flachheit sich bettelstolz hervordrängt, wo der böse Wille, froh des leichten Spieles, sich einmischt, frech bis zur Selbstentlarvung, wo es häufig oben an Einsicht, unten an Treue zu gebrechen beginnt, da ist es Zeit, daß jeder streitfähige, was auch sonst sein Beruf sein möge, unter die Waffen trete, damit ein Landsturm sich bilde gegen den einbrechenden Feind.

Es ist nicht genug, daß die tollen Anmaaßungen der Ultras, die gottvergessene Hoffart der Volksaufwiegler gezüchtigt werden. Ganz verderblich sind die schaalen Moderaten und Eklektiker. Da, wo aus den vernichtenden Extremen nur eine transscendentale Gleichung rettet, wollen sie eine arithmetische Mitte herauscalculiren, als ob Gutes und Schlechtes nicht incommensurable Größen seien. Sie zimmern Verfassungen, und wähnen sich eine Arche zu bauen, in der sie sich und alle Bestien aus der Sündflut salviren wollen. Daß aber der Tag des Herrn kommen wird, wie ein Dieb in der Nacht, fällt ihnen im Traume nicht ein.

Gegen allen diesen Unfug würde freilich eine blos literarische Kriegserklärung wenig fruchten. Aber überall, wo er sein Haupt erhebt, muß er auch den Gegner finden. Und nur weil die Besten schwiegen, ist das Gesindel so frech geworden. Darum ist es hohe Zeit, daß ein Verein sich bilde, wie der beabsichtigte, eine heilige Allianz der Gutgesinnten und Verständigen.

Ich habe es übernommen, Sie zum Beitritt einzuladen, und lege die Ankündigung der Zeitschrift hier bei. Versagen Sie sich nicht diesen Hoffnungen! Gönnen Sie einen Theil wenigstens der Kraft, die sie allein der Zukunft geweiht zu haben scheinen, der Gegenwart; sie bedarf es! – Bald muß es sich entscheiden, ob Teutschland untergehen, oder zu neuem Leben erwachen soll. Es hängt davon ab, ob jeder Einzelne thut was er vermag, besonders aber das Salz der Erde. – –

Indem ich so eben die Ankündigung der Zeitschrift nochmals lese, sehe ich, daß mein Schreiben merklich contrastirt mit jenem stillen, friedlichen und aufbauenden Geiste (»Bausteine« sollte anfänglich der Titel auch sein). Doch überzeugt, daß Sie meinen vielleicht allzupolemischen Worten einen milderen Kern, als ihre Außenseite darbietet, zutrauen werden, will ich das Geschriebene geschrieben sein lassen.

Leben Sie recht wohl! und bleiben Sie gewogen

Ihrem

Dr. Neeff.

Indem mir mein Freund Neeff obiges Schreiben mittheilte, lud er mich ein einige Zeilen hinzuzufügen, was ich mit froher Erinnerung an die schöne Zeit thue, wo ich Sie als Lehrer verehrte. Wie viel hat sich seitdem geändert und wie furchtbar ist die Geschichte mit sieben Meilen Stiefeln durch Tod, Hunger, Pest und Krieg vorwärts geschritten! So ernst sie aber geworden, so wenig will unsere Zeit ohne Glauben und Liebe, von ihrem Abgott, dem Verstande laßen, und so muß sie denn billig hofnungslos genannt werden. Von Menschen nicht und vom Verstande nicht, scheint mir daher Rettung zu erwarten, nicht von äußeren Anstalten, nicht von Oben, nicht vom Volke, da es eben so viele Kriege bald geben wird, als Menschen leben, sondern von Einem, von der Erkenntniß, daß nur der Himmel Gnade und Rettung hat, daß die Herren von Gottes Gnaden herrschen und die Bürger, um Gottes willen gehorchen. Eine Zeit, wo man dieses vergeßen konnte, fordert Prediger, wenn auch in der Wüste, und Propheten, die keiner Gottvergeßenen Zeit fehlten. Darauf aufmerksam zu machen, und einen Trost zu geben und zu finden, daß noch nicht Alles Parthey – Parthey des eignen Selbst ist, ist ein Hauptzwek des Unternehmens, wovon Freund Neeff schreibt und dem sich mehrere Staats- und Geschäfts Männer angeschloßen haben. Darum und weil der Name so leicht Parthey genannt wird, in dieser unendlich feindseeligen Zersplitterung, wird für alle Mitglieder, Neeff, Passavant und mich eingerechnet, die strengste Anonymität beobachtet, um die wir Sie eben so sehr bitten, als wir solche für Sie versprechen.

Möge der Himmel Ihnen Heiterkeit geben, daß Sie kräftig und seegenreich diese verlaßene Zeit ihm wieder zu bringen könnten! Leben Sie wohl und bleiben freundlich geneigt
Ihrem

Thomas