Hochwohlgeborner Herr,
Innig verehrter Lehrer und Meister,
Ew. Hochwohlgeboren nehme ich mir hiermit die Freiheit, eine Schrift zu übersenden, die ich von keinem Menschen auf der Welt so sehr als von Ihnen, einer Durchsicht und Prüfung gewürdigt wünschte. Nicht als legte ich selbst einen hohen Werth auf dieselbe, und glaubte, durch ihre Vorzüge den Beifall eines Mannes gewinnen zu können, der die höchsten Regionen des Menschengeistes sein Reich nennen darf: sondern weil in ihr mein geistiges Streben zuerst ausgesprochen, und die Keime zu meiner künftigen Geistesthätigkeit niedergelegt sind; die vielleicht nur durch wohlwollende Theilnahme und lebendige Mittheilung fröhlich gedeihen können. Wo sonst aber sollte ich bei einem so umfaßenden und die gewöhnlichen Kreiße geistiger Thätigkeit überschreitenden Streben, als, wie ich mir nicht verheelen kann, das meinige ist, Theilnahme und Belehrung zu finden hoffen, wenn nicht bei einem Manne, der, wie Sie, alle Tiefen und Höhen des Zeitalters überschaut, und dieß nicht von fern, mit kalt, überlegenem, menschlichen Leiden und Freuden entfremdetem Geiste, sondern mit warmem, menschlichem Gefühl? Dem Studium jener Philosophie, durch deren Stiftung Sie der Gründer einer neuen Periode der Wissenschaft und Geistesbildung, und, (wenn es nicht zu kühn ist, schon jetzt diese begeisternde Hoffnung auszusprechen), vielleicht selbst der Religion geworden sind, verdanke ich, nachdem ich, durch die unseligsten Vorurtheile geraume Zeit hindurch davon zurückgehalten, endlich dazu gelangte, die Fähigkeit zur eignen wissenschaftlichen Thätigkeit und das Bewußtsein meines Berufes. Erlauben Sie mir hiebei die Bemerkung, daß, so wenig ich mich auch dem Einfluß des Hegelschen Systemes entziehen konnte, und so fest ich auch überzeugt bin von der Nothwendigkeit und der ewigen Gültigkeit der Methode, aus der dieses System hervorging, so wie, größtentheils wenigstens von der Wahrheit der gefundenen Resultate: ich mich doch schwerlich jemals der Schule Hegels, (den ich übrigens nur aus seinen Schriften, nicht aus seinen Vorlesungen kenne), werde beigesellen können. Es giebt nach meiner Ueberzeugung eine doppelte Art zu philosophiren: eine wissenschaftliche und eine künstlerische, von denen ich die erstere die aristotelische, die zweite die platonische nennen möchte; und ich glaube mich ungleich mehr zu der künstlerischen Behandlung der Philosophie und (in dem umfaßendsten Sinne dieses Wortes) der Geschichte berufen, als zu der streng wissenschaftlichen oder systematischen. Sie werden mir daher das Geständniß nicht für Schmeichelei oder Zudringlichkeit auslegen, daß ich mich von Ihrem Genius mehr als von dem Geiste Hegels oder irgend eines Andern unsrer Zeitgenossen angezogen, und zu eignem Wirken und Schaffen meine Kräfte aufgeregt und beseelt fühle. Die Mängel und Schwächen des ersten jugendlichen Versuches, für den ich gegenwärtig Ihre Nachsicht in Anspruch zu nehmen wage, sind mir keineswegs verborgen: er schwankt zwischen historischer Forschung, philosophischer Speculation und künstlerischer Darstellung auf eine dem Kenner vielleicht oft anstößige, für mich aber als Anfänger unvermeidliche Art, und die Beweise für die Resultate, welche ich gefunden zu haben glaube, mögen oft ungenügend scheinen. Indessen gebe ich die Hoffnung nicht auf, dafern ich so glücklich sein sollte, daß Männer, zu denen ich wahres und reines Vertrauen hegen kann, mir ihre Theilnahme und ihren Beistand nicht versagen, einst, bei höherer Reife und bei vollkommnerer Durchdringung der Elemente, die jetzt noch oft streitend sich gegenüber stehen, etwas Gediegenes zu leisten.
Mit der wiederholten Versicherung der aufrichtigsten Bewunderung und der wärmsten Verehrung Ihres erhabenen Geistes verharre ich lebenslang
Ew. Hochwohlgeboren
ehrfurchtsvoll ergebener
Christan Hermann Weiße.
Leipzig am .